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Wut – Jelineks Sprachgewalt trifft auf Mondtags Bildgewalt

18.10.2020

Am 7. Januar 2015 ereignete sich in Paris der islamistisch motivierte Terroranschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Anlass und Ausgangspunkt für das Theaterstück "Wut", welches die österreichische Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträger in Reaktion auf diese Tat geschrieben hat und das 2016, rund 15 Monate nach dem Attentat, an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. Am Schauspiel Köln hat nach "Schwarzwasser", inszeniert von Intendant und Regisseur Stefan Bachmann, in dieser noch so jungen Spielzeit mit diesem Stück nun schon der zweite Jelinek-Text seinen Weg auf die Bühne gefunden: Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag, der in Köln zuletzt "Die Verdammten" von Luchino Visconti (Premiere: 07.12.2019) inszenierte, nimmt sich den – gerade in diesen Tagen wieder spürbarer denn je – noch immer so aktuellen Theatertext vor, kürzt ihn radikal zusammen und setzt ihn mit einem neunköpfigen Ensemble, in dessen Zentrum der Performancekünstler Benny Claessens steht, bildgewaltig in Szene und schafft damit einen transmedialen Kommentar zur aktuellen Gegenwart. Premiere war am 25. September im Depot 1.

Elfriede Jelinek verbindet in ihren Stoffen antike Dramen mit aktuellen politischen Geschehnissen. In "Wut" lässt sie sich dabei vom antiken Mythos der Göttin Hera inspirieren, die den Helden Herakles blind vor Zorn machte, sodass dieser im Rausch seine eigene Familie tötete. Als tagesaktuelle politische Geschehnisse dienen ihr neben dem Anschlag auf die Pariser Zeitungsredaktion auch islamistische Terrorist*innen, deutsche Wutbürger*innen und antisemitische Vorfälle. Die Bilderflut im Netz und die transmediale Berichterstattung und Kommentierung der Gegenwart dient Regisseur Ersan Mondtag als zentraler Anknüpfungspunkt für seine Inszenierung. Der Abend ist neben dem Bühnenspiel vor allem von audiovisuellen Inhalten geprägt, die auf drei rechteckige Leinwände projiziert werden und vorher aufwendig in einem Filmstudio vor dem Greenscreen produziert worden sind. Integriert wurde ein Greenscreen-Studio auch im Bühnenbild von Mondtag: Zwei riesige Adlerbeine ragen auf der Bühne empor, zwischen denen sich ein Ei befindet, das der Moschee in Köln-Ehrenfeld ähnelt. Dreht sich dieser Bühnenkomplex wird der Inhalt des Eis sichtbar, der aus eben diesem Studio besteht. Im Laufe des Abends wird diese Fläche immer wieder aufwendig in verschiedene Szenerien verwandelt. Neben dem Bühnenbild beeindrucken auch die Kostüme, die im Eiltempo von Szene zu Szene gewechselt werden, und die facettenreiche Musik. Mondtag spielt auf allen visuellen Ebenen mit der Überforderung, die auch Jelinek in ihren Texten versprüht. Oftmals überlagern sich hier Musik, Sprache, Video und Bühnenspiel.

Im Zentrum des Geschehens singt, tanzt, albert, schreit, springt und flucht der belgische Performancekünstler Benny Claessens, der mit "Wut" sein Köln-Debüt gibt. Die Inszenierung ist völlig auf diesen Ausnahmeschauspieler ausgelegt, der damit seine Schauspielkolleg*innen weit in den Hintergrund rücken lässt. Einzig das Urgestein Margot Gödrös und die quirlige Lola Klamroth schaffen es, hinter Claessens aus dem Ensemble herauszuragen. Claessens spielte bereits bei der Uraufführung von "Am Königsweg" 2017 am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg unter der Regie von Falk Richter eine Jelinek-Produktion und wurde für seine schauspielerischen Leistung als "Schauspieler des Jahres" von der Fachzeitschrift "Theater heute" ausgezeichnet. Diesen Künstler auf der Bühne zu sehen, ist wahrlich eine große Freude. Die vielen (vorgeblich) improvisierten Stellen, in denen er u.a. mit Schauspielerin Margot Gödrös und dem Publikum schwadroniert und wild hin und her stolziert, sind stets gut pointiert und portioniert.

Nichtsdestotrotz gerät der ohnehin schon wahnsinnig sprachgewaltige und sprachwitzige Text von Elfriede Jelinek in eine Art Wettkampf mit der Bilderschlacht von Ersan Mondtag, die streckenweise überfordert und lähmt. Dennoch eröffnet Mondtag dadurch natürlich auch viele Bilder von Jelineks Textgebirge und macht sie zugänglicher. Der Einsatz vieler medialer Mittel und die Verschränkung dieser ineinander führen zu einer ständigen Kommentierung der Gegenwart und des Geschehens. Ein beeindruckender Theaterabend, dessen einzelne künstlerische Elemente für sich betrachtet zweifelsohne imponieren, im Gesamtspiel dann hier und da aber doch zu einer zu schrillen und knalligen Performance geraten. 

von Marvin

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