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Marat/Sade – Die Revolution als große Schaumparty

02.07.2019

Das freie Theaterkollektiv "Monster Truck" hat am Schauspielhaus Bochum den Aufstand mit körperlich oder geistig behinderten Menschen geprobt und MARAT/SADE in den Kammerspielen auf die Bühne gebracht. Die Performancegruppe wurde bereits zu zahlreichen Festivals eingeladen und vielfach ausgezeichnet. Nun legte sie im Rahmen des Projekts "Irrsinn", eine Kooperation zwischen dem Kollektiv, dem Schauspielhaus Bochum und dem NT Gent, ihre erste Arbeit in Bochum vor. Premiere war am 29. Juni in den Kammerspielen.

"Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade" heißt jenes Stück von Peter Weiss, das heute meist nur kurz "Marat/Sade" genannt wird. In diesem probt der Marquis de Sade den Aufstand mit den geistig gestörten Insassen einer Nevenheilanstalt. Ein Stück im Stück also, das aus zwei Akten besteht. In der Inszenierung von Monster Truck werden diese aber nicht von Schauspieler*innen gespielt, sondern von körperlich oder geistig behinderten Bochumer*innen dargestellt. Dadurch entsteht eine Authentizität, die den Abend überstrahlt. Eine verzerrte Stimmte aus dem Off gibt den Erzähler, der Großteil der Kommunikation läuft indes via Übertitel. Nach dem Prolog, wenn die Probe des Stückes dann richtig beginnt, führen die Schauspieler*innen, die unter das große Ensemble gemischt sind, die Hospiz-Bewohner*innen wie Puppen als Bauchredner. Eine minimalistische Inszenierung, die ihr Narrativ im Übertitel fährt. Die Bühne ist ein schwarzer Raum mit einem rechteckigen, weißen Podest, das in der Mitte steht. Die Musik begleitet stetig den Abend, ist eindringlich wie minimalistisch zugleich und geht viel über Rhythmik. 

Die Zuschauer*innen sehen einen sehr respektvollen, vorsichtig-sensiblen, beinahe liebevollen Umgang der Schauspieler*innen mit ihren Laiendarsteller*innen. Sie arbeiten mit dem, was die Menschen mitbringen und setzen es mit der Stückvorlage passgenau zusammen. Man kann dabei beim Entstehen und Sich-Zusammensetzen der Bilder und Szenen zusehen und findet schnell Genuss daran. Die Inszenierung spielt mit pantomimischen Darstellungselementen und metaphorischen Handlungen und Gegenständen. Im zweiten Akt bewegt sich die Inszenierung dann weg vom Minimalismus und bricht wortwörtlich auf: Das Podest fällt quasi auseinander und eine riesige Krokodil-Hüpfburg bläst sich auf. Dazu revolutionär-dröhnende Musik und ein Menschenpulk, der an der Rampe tanzt, klatscht und feiert - die Revolution ist ausgebrochen. Aus dem Maul des Krokodils fließt Schaum und neben Schampus und Partyhütchen gibt es eine wilde, im wahrsten Sinne des Wortes ohrenbetäubende Karaokeparty mit Tracks wie "I Will Always Love You" - eine waschechte Schaumparty halt. Doch das ganze ist nicht von Dauer, wenn der Marquis de Sade flieht, alles in sich zusammenfällt und Napoleon übernimmt. Schwarze Sturmhauben werden aufgesetzt, Schüsse fallen, der eiserne Vorhang fährt wild rauf und runter und die Faust wird geballt. 

"Marat/Sade" im Schauspielhaus Bochum ist ein wilder Parforceritt, der durch die Spielfreude und Authentizität der Darsteller*innen und der Bilder, die das Kollektiv auf die Bühne gezaubert hat, besticht. Ein Abend mit berührenden Momenten, der mal irritiert, mal staunen lässt und neben der Unterhaltung vor allem eins tut: Ein Zeichen setzt - für die Sichtbarkeit von gesellschaftlichen Minderheiten und für das Repräsentationstheater. 


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von Marvin

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