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Häusliche Gewalt – Kein Entkommen aus der Gewaltspirale

06.06.2019

Die Botschaft am Worringer Platz ist eine ungewöhnliche Location, denn sie ist ein Theater aus den 1920er Jahren. Dort befand sich bis 1969 das Capitol-Theater mit Film- und Musicalvorstellungen. Später zogen Düsseldorfs erste Bauhaus-Filiale, ein Club und schließlich Künstler ein. Das Impulse Theater Festival 2019 hat sich diesen besonderen Ort für Markus Öhrns wortloses Theaterstück ausgesucht. Mit ihrem dunklen Durchgang und ihrer riesigen, hellen, weißen und dennoch kühlen Halle bietet sie die ideale Ausgangslage für eine nie enden wollende Spirale der Gewalt in einem IKEA-Katalog-Wohnzimmer.

Häusliche Gewalt heißt das Stück von Regisseur Markus Öhrn. Uraufgeführt wurde es im Juni 2018 bei den Wiener Festwochen. Nun wurde es zum diesjährigen Impulse Theater Festival eingeladen und viermal im Showcase in der Botschaft am Worringer Platz gezeigt. Düsseldorf-Premiere war am 18. Juni.

Zur Vorbereitung seines Stückes studierte Öhrn Berichte über reale Fälle häuslicher Gewalt, die in Wien vor Gericht verhandelt wurden. In seiner Inszenierung bleiben jene Berichte aber zeit-, ort-, namen-, gesicht- und sprachlos. Denn die beiden Darsteller*innen Jakob Öhrmann und Janet Rothe tragen riesige Pappmaché-Köpfe und sprechen kein einziges Wort miteinander. Stattdessen sind jedwede Geräusche - schmatzen, küssen, atmen, schluchzen, stöhnen, schlürfen - durch Mikroports verstärkt. Lautmalerei statt Wortakrobatik also - und gerade das wirkt ziemlich beklemmend auf das Publikum.

Aber zurück auf Anfang: Den Weg der Zuschauer*innen zum "Wohnzimmer des Schreckens" ebnen gesprayte Schriftzüge an der Wand, die mit Pfeilen und den Worten "Häusliche Gewalt" durch die Hallen führen. Noch bevor man das Bühnenbild Öhrns sehen kann, kommt man an einer Wand vorbei, auf der Artikel zu Statistiken und Daten von häuslicher Gewalt aus Düsseldorf, NRW und Deutschland geklebt sind. Das meiste, was da steht, mag keine Überraschung sein. Und dennoch ist es zutiefst erschütternd sich diese Gewaltverbrechen vor Augen zu führen. Und die Dunkelziffer mag sicherlich noch viel höher liegen.

Das Besondere an diesem Theaterabend: Der Ein- und Auslass ist jederzeit möglich. Während der fünfstündigen Performance kann das Publikum kommen und gehen, wann es möchte. Einige werden diese Möglichkeit nutzen und den Saal für kurze Zeit verlassen, um später wieder zurückzukehren. Andere werden nicht wiederkommen und wieder andere werden so gefesselt sein, dass sie ihren Sitzplatz bis zum Ende nicht verlassen werden.

Die Bühne ist ein offener Raum, der fast fließend in den Zuschauerbereich übergeht. Man sieht eine weiße Wohnung, die aus einem IKEA-Katalog stammen könnte: Ganz links der Schlafbereich mit großem Doppelbett daneben eine Schminkecke mit Spiegel, in der Mitte der Essbereich mit Esstisch und Stühlen und rechts der Wohnbereich mit Sofa und Sessel. Dazu überall inhaltsleere Standardfloskeln, wie "Be happy" auf Bildern oder anderen Dekorationsmitteln. Gerade diese bekommen in dem Zusammenspiel mit der häuslichen Gewalt einen zutiefst ironischen Geschmack. Die Zuschauer*innen sitzen auf Stühlen, Sitzkissen verteilt der Bühne gegenüber. Die Distanz nicht nur zum Bühnenspiel, sondern auch zu dem restlichen Teil des Publikums ist ein kluger Schachzug des Veranstalters. Mitten im Zuschauerbereich steht zudem ein weißer Flügel, auf dem hölzerne Buchstaben das Wort "Home" markieren. Die gesamte Spieldauer über spielt ein Pianist darauf, völlig unbeirrt von dem, was auf der Bühne geschieht, muntere Klaviertöne. Gerade diese, beinahe ignorant wirkende, Gegensätzlichkeit unterstreicht das typische "Wegschauen" in unserer Gesellschaft.

Zu Beginn steht nur die Frau auf der Bühne: In einem roten, viel zu kurzen Minikleid mit schwarzen hochhackigen Schuhen flüchtet sie bei Ankunft des Publikums gen Schminkspiegel und tuschiert ihr linkes blaues Auge. Ein erster Hinweis auf das, was folgen mag, wenn ihr Mann nachhause kommt. Diesen erwartet sie schon sehnsüchtig: Brezelt sich auf, räumt die Wohnung auf, sucht die perfekte sexy Position auf dem Sofa und macht nochmal ein paar Yogaübungen. Als er schließlich die Wohnung betritt, in Anzughose, weißem Hemd und mit Tennis Schlägertasche, ist die Machtverteilung in dieser Paarbeziehung gleich klar: Ihr Blick geht schnell beschämt gen Boden, während er breitbeinig mit Schuhen auf der weißen Matratze auf dem Bett liegt. Dennoch ist ihr Umgang am Anfang noch teilweise zärtlich und liebevoll. Gerade dann, wenn er ihr Aufmerksamkeit schenkt und sie nicht mit Ignoranz abstraft. 

Nach einer Stunde, wenn der Kuckuck das erste Mal aus der Uhr springt, beginnt sich die Spirale der direkten, körperlichen Gewalt zu drehen. Das Klavierspiel verstummt und der Mann schlägt der Frau frontal ins Gesicht, bis ihr Kopf eingedötscht und blutverschmiert ist. Wieder greift die Frau zur Abdeckschminke ehe er sich heulend unter der Decke verkriecht und sie ihn daraufhin tröstet. Ein Wechselspiel, dessen nächstes Kapitel schon vom Publikum erwartet werden kann. Mit jeder vollen Stunde wird der Gewaltexzess dramatischer, schlimmer, blutiger, verstörender. Und dennoch, oder gerade deswegen, wird man als Zuschauer*in soghaft in die Gewaltkulisse reingezogen. Eine ungeheure Anziehungskraft, für die man sich teilweise schämt. Man erwartet beinahe sehnsüchtig den nächsten Schlag, weil man verstehen möchte, warum der Mann die Frau abermals verprügelt. Gerade nach diesen Attacken nehmen sich Öhrns Darsteller*innen Zeit und zwingen das Publikum, diese ungeheure Anspannung auszuhalten. Mal passiert minutenlang nichts oder die Frau verschwindet kurzerhand für eine gute halbe Stunde, um neuen Alkohol zu kaufen. Mit der Unberechenbarkeit und dem Motto "Man weiß nie vorher, wann es passiert" einer häuslichen Gewalt, wird auch der*die Zuschauer*in auf die Unvorhersehbarkeit getrimmt und muss diese Momente aushalten.

Als der Kuckuck dann am Ende ein letztes Mal erscheint, ruft und Ruhe einkehrt, möchte man erleichtert aufseufzen. Und doch scheint es für dieses Paar keinen Ausweg zu geben. Sie verbleiben in ihrer Position, während das Publikum, ohne Applaus schenken zu können, aus dem Saal geleitet wird. Eines ist klar: Das Paar ist wohl auf ewig in seinem blutverschmierten, demolierten Eigenheim gefangen. Ein einzigartiger Theaterabend, der noch lange nachhallen und unvergesslich bleiben wird. Großer Applaus, zumindest virtuell, für das grandios agierende Schauspielerpaar.

von Marvin

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