Medea – Eine düstere Rätselwelt voller Lust und Verzweiflung
13.04.2019
Schwach bin ich! Den Bruder, Mutter, hast du mit des Zaubers Kraft beglückt, der’s nicht verdient, nicht einmal den Segen nutzen kann. Oh, könnt ich Götter bilden, buntem Stein entringen meiner Phantasien überhöhte Leidenschaften, vereinen Geilheit und Erlösung und Tier und Mensch und Mann und Weib und was mich sonst erregt!
Die Tragödie Medea wurde 431 v. Chr. vom griechischen Dichters Euripides geschrieben und noch im selben Jahr in Athen uraufgeführt. Der Medea-Stoff wurde von zahlreichen Autoren bearbeitet und vielfach im Theater auf die Bühne gebracht. Zuletzt wurde Euripides' Tragödie am Düsseldorfer Schauspielhaus 2017 von Hausregisseur Roger Vontobel inszeniert. Eine der radikalsten Medea-Bearbeitungen ist aber jene, die Hans Henny Jahnn 1926 vorgelegt hat. Am Schauspiel Köln hat sich nach langem hin und her Regisseur Robert Borgmann für diese Bearbeitung entschieden. Premiere war am 12. April im Depot 1.
Medea, Nichte des Sonnengottes Helios, Königstochter von Kolchis und Magierin, verhilft dem Argonauten Jason zum Goldenen Vlies. Dafür muss sie ihren jüngeren Bruder opfern. Aus Furcht vor Rache flieht sie gemeinsam mit Jason nach Korinth zum König Kreon. Mit ihren magischen Zauberkräften schenkt Medea ihrem Jason ewige Jugend, während ihr eigener Körper nach und nach verfällt. Als Jason als Werber für seinen ältesten Sohn bei Kreons Tochter auftaucht, verliebt er sich selber in die Königstochter, heiratet sie und verstößt Medea. Aus verschmähter Liebe nimmt diese Rache an Jason, indem sie in wildem Zorn eigenhändig ihre beiden Söhne tötet.
Den Beginn des Theaterabends läutet ein mystisches Wesen in roter Farbe und auf erhöhten Laufprothesen ein, die eine Zivilisationskritik des Franzosen Georges Bataille in englischer Sprache proklamiert. Euripides' Medea-Erzählung endet damit, dass die dem Zorn verfallende Medea ihre beiden Söhne in Kindesalter tötet. Und genau das ist die Szenerie mit der Robert Borgmanns Inszenierung beginnt: Die Verstoßene vergiftet am Esstisch ihre Kinder und legt daraufhin die Kinderleichen in eine weiße, große Tiefkühltruhe. Die Medea von heute? Doch nur kurze Zeit später kriechen die zwei Knaben, nun älter geworden, aus der Truhe: Marek Harloff als der ältere und Kristin Steffen als der jüngere Knabe. Beide mit blonder Kurzhaarfrisur. Im Vergleich zu Euripides haben die beiden Söhne Medea und Jasons bei Jahnns-Bearbeitung nämlich eine eigene Stimme, eigene Probleme, ein eigenes Begehren. Das Bild auf das Bühnenspiel ist zu Beginn unscharf: Ein Gazevorhang hängt vor der Bühnenrampe, der Boden ist komplett in Neben gehüllt. Ein flimmerndes Gesamtbild auf die Szenerie. Nachdem sich der Neben verzogen hat, wird das Bühnenbild sichtbar: Ein riesiger gekrümmter, senkbarer Lichtbogen, bestehend aus Leuchtstoffröhren, schwebt über der Bühne. Eine meterhohe Plastikplane begrenzt die Sichtweite des Publikums nach hinten. Neben einem Tisch mit vier Stühlen (Für die ganze Familie rund um das Paar Medea und Jason) sind noch die Kühltruhe und kleinere Haufen Erde zu entdecken. Rechts, in einer abgetrennten Box, sitzen die beiden Musiker Robert Borgmann und Tom Müller. die den Abend mit Live-Musik begleiten. Die Kostüme sind weitestgehend in schwarz-weiß gehalten. Die Mystik der Figuren spiegelt sich auch in der Kostümkreation wieder: Die Amme hat fünf Brüste und ein dreigeteiltes Gesicht, Kreons Körper ist bis zum Mund in orangene Farbe getaucht, er trägt eine Uniform und sein Haupt wird von einer goldbraunen Blätter-Krone bedeckt.
Besonders magisch wird die Inszenierung, als sieben Frauen mit Fichtenzweigen auf die Bühne kommen und sie diese wie in einem Ritual langsam und heilig auf den Boden legen. Dazu eine mystische Klangkulisse aus Rasseln und Kettengeräuschen. Es bildet sich ein langer Steg aus den Fichtenzweigen, den Medea dann barfuß betritt. Ein Mikro verstärkt die Geräusche, jedes Knistern und Knacken der Zweige ist zu hören. Das Licht fällt wie bei einer Lichtung im Wald durch den Leuchtbogen. Die einzelnen Leuchtstoffröhren werfen dabei ihre Schatten. Danach kippt die Inszenierung kurzzeitig ins heutige: Jason und Medea, in Alltagskleidung und mit Bier aus der Kühltruhe in der Hand, streiten. Was von Außen wirkt wie eine alltägliche Familiensituation, ist inhaltlich jedoch meilenweit entfernt davon. Nach zwei Stunden dann die längst überfällige Pause.
Nach der Pause bleiben einige Zuschauer*innen dem zweiten Teil des Abends fern. Zu zäh und verworren mag das ganze wohl auf sie gewirkt haben. Es sind viele Rätsel, die Regisseur Borgmann in seiner Inszenierung aufwirft und mit Jahnns-Text verwebt. Nun setzt der Regisseur auf seine ohnehin schon bildgewaltige Inszenierung noch einen drauf und lässt den Lichtbogen, abmontiert von seiner Halterung, quer auf dem Boden liegen. Die Leuchtstoffröhren leuchten dabei teils mit voller Kraft in die Blicke des Publikums. Nun wird auch vermehrt mit Videoprojektionen auf dem Vorhang gearbeitet. Das Spiel läuft größtenteils hinter dem Lichtbogen ab. Wie durch zugezogene Jalousien kann der oder die Zuschauer*in nun das Geschehen erspähen. Dabei schwenkt das Licht, untermalt durch Quietschgeräusche, von vorne nach hinten. Wie auf einem Schiff auf hoher See in unruhigem, gefährlichen Gewässer. Die Gefahr, dass es zur Katastrophe kippen kann, immer da. Am Schluss zieht dann das gesamte Ensemble wie eine Karawane ein, stellt sich mit dem Gesicht zum Lichtbogen und ist mit dem Blick gefangen. Dann geht das Licht aus und der recht anstrengende, dreistündige Theaterabend zu Ende.
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