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Lass doch in die Oper gehen!: Siegfried in Düsseldorf

14.04.2018

Am vergangenen Samstag öffnete die Staatsoper Düsseldorf ihre Pforten für Richard Wagners "Siegfried" unter der musikalischen Leitung Axel Kobers. Die Oper ist Teil des "Ring der Nibelungen", der aus vier Teilen besteht. Die Vorstellung glich einem Bouquet verschiedenartiger Künstlerinnen und Künstler, um die sich der Schleier des des dunklen, stählernen Bühnenbildes legte und durch welche Wagners Talent, ein Publikum fünf Stunden in seinen Bann zu ziehen, hindurch schien. 

Opernbesuche in Düsseldorf sind eine feierliche Angelegenheit. Raunend findet sich das überwiegend ältere Publikum zehn Minuten vor Vorstellungsbeginn im großen Saal zusammen, die meisten tragen ihre beste Sonntagsgarderobe und unterhalten sich im Flüsterton.

Beim Öffnen des Vorhangs wird höflich applaudiert. Sofort verstummt die Menge, denn das Bühnenbild beeindruckt aufgrund der schieren Größe und durch seine mutig-moderne Interpretation des Traditionsstückes: Aus der Schmiede des Zwerges Mime wurde eine rostige Werkstatt, dekoriert mit blechernen Arbeitsflächen und liebevollen Details wie einen grauen Gartenzwerg. Inmitten dieser schäbigen Umgebung fällt der kleine „garst’ge Zwerg“, wie er später von seinem Adoptivsohn Siegfried genannt wird, aufgrund seiner dunklen und zerfransten Kleidung nicht auf. Im Schlagabtausch mit dem deutlich imposanteren Siegfried, verkörpert durch Michael Weinius, werden deren grundverschiedene Charaktere deutlich: Mime (Cornel Frey) ist ein ängstlicher, gieriger Zwerg, der mithilfe Siegfrieds Kraft den Ring der Nibelungen zu gewinnen sucht. Siegfried auf der anderen Seite, Sohn Siegmunds und Sieglindes, sehnt sich nach einem abenteuerlustigen Leben und fürchtet nichts. Diese ungewöhnliche Konstellation führt dazu, dass Siegfried seine Abstammung in Frage stellt: Nicht nur vermisst er äußerliche Gemeinsamkeiten, er bezweifelt auch die Möglichkeit, dass der Schmied Mutter und Vater zugleich sein kann. Aus dieser Auseinandersetzung entfacht ein wahrer Konflikt, der sich im Verlauf der Oper zuspitzt:  Als Siegfried über seine verstorbenen Eltern erfährt, will er ausziehen um das Fürchten zu lernen. Mime hingegen, der Siegfried nie ein warmherziger Ziehvater war sondern vielmehr verantwortlich für eine unschöne Kindheit war, begehrt die Macht, die dem Ring der Nibelungen innewohnt, welcher sich in den Fängen Fafners, einem schrecklichen Ungeheuer, befindet.

Im Anschluss an den ersten Aufzug folgt die Pause. Es verlassen nicht alle direkt den Saal, sondern man klatscht für eine erfolgreiche erste Partie. Draußen erwarten einen neben Wein und Wasser präparierte Tische mit Fingerfood, wo sich begeisterte Stimmen neben kritischen Augen zusammenfinden. Die schrille Glocke ruft die Gäste zurück in die Welt der Nibelungen, aufgeregt erwartet man den zweiten Teil, der klassischerweise der spannendste ist.

Der erste Teil von Mimes List geht auf: Siegfried wagt sich in die Höhle Fafners und stellt sich dem wachenden Drachen, ein wildes Geschöpf, aus dessen Rachen Rauch steigt. Jedoch taucht zur Überraschung des Publikums kein Fabelwesen auf: Eine Dampflokomotive hüllt den Raum für kurze Zeit in Nebel. Von ihm will Siegfried über seine Eltern erfahren, er soll ihm das Geheimnis über seine Herkunft enthüllen. Das imposante Fuhrwerk personifiziert die Goldgier des Schatzhüters, hat sie doch das Zeitalter des Kapitalismus mit eingeläutet indem sie entfernt voneinander liegende Dörfer miteinander verband und wesentlich zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert beigetragen hat. Umso interessanter ist es, wie Bühnenbildner Dieter Richter mit diesem Gedanken spielt und den Sänger des Fafner in der Lokomotive versteckt.

Als wäre sein Name ein Vorbote zieht Siegfried erfolgreich in den Kampf, jedoch nicht zufrieden von dannen. Weder hat ihm diese Erfahrung das Fürchten gelehrt, noch hat er mehr über seine Eltern erfahren. Zu allem Überfluss taucht sein verhasster Ziehvater Mime wieder auf und möchte sich die Schätze des Fafners aneignen, die dem Träger Ruhm und Ehre verleihen. Hierzu wäre er sogar bereit Siegfried zu vergiften. Durch das Drachenblut ist Siegfriede imstande, Mimes wahre Absichten zu durchschauen, und tötet ihn. Mime wird zunächst reglos - die körperliche Kontenance der Sänger beeindruckt immer wieder aufs Neue- an einem Stahlseil von der Decke gehangen. Der dramatische Effekt dieses Ablebens ist hoch.

Mit dieser Klimax endet der zweite Aufzug. In der Pause genießen einige Besucher die lauwarme Frühsommerluft, auf dem Balkon beobachtet man den lebhaften Austausch über die erfrischende Inszenierung. Es liegt Vorfreude auf den dritten Teil in der Luft.

Nachdem unser Held durch Wälder gewandert, mit Fafner gekämpft und mit Tieren gesprochen hat, realisiert er nun wie völlig allein er in dieser Welt doch ist. Diese Einsamkeit schlägt sich auf das ansonsten furchtlose Gemüt nieder und die Vögel des Waldes raten ihm, den weiten Weg zur schlafenden Brünnhilde auf sich zu nehmen. Auf einem Felsen umgeben von ewigem Feuer soll sie seit Jahren schlafen und auf ihren Helden warten. Wie erwartet zögert Siegfried nicht, er sieht vielmehr eine Chance seinem fruchtlosen Fristen zu entkommen. Auf dem „Felsen“ liegt die schlafende Schönheit in einem abgestürzten Helikopter, der sich nahtlos in das von Industrialisierung gezeichnete Bühnenbild eingliedert. Das Publikum hat an diesem Punkt verstanden, dass Siegfried sich als unbesiegbar erwiesen hat. Doch beim Anblick einer weiblichen Gestalt zuckt er zusammen, zögert, ziert sich und realisiert: Dies also ist die Angst.

Der zweite Tag aus Wagners Opernzyklus endet mit der glücklichen Vereinigung beider Spieler. Ihnen ist gemeinsam, dass beiden früh ein freies Leben verwehrt wurde. Doch mit der Befreiung Brünhildes ist auch Siegfried imstande, menschliche Gefühle zu empfinden und zu verstehen. Alles Warten fand ein Ende, die Herrschaft des Geldes wurde von der Macht der Liebe abgelöst. Ist dies ein Ausdruck von Anarchismus, wie dem staatsverachtenden Wagner dies zueigen war? Diese Form von "Menschwerdung" ist zumindest in meinen Augen Siegfrieds wahrer Sieg und steht am Ende seiner Abenteuer.

Erst der fallende Vorhang reißt den Zuschauer aus Wagners fünfstündigem Bann. Denn auch er hat sich auf eine Reise gemacht, sich auf das Nibelungenlied eingelassen und ließ das Abenteuer "Oper" auf sich wirken, welche durch das kreative Gestaltungstalent der Kostüm- und Bühnenbildner in Szene gesetzt wurde. Und er wurde nicht enttäuscht.

Diese Vorstellung beweist wieder einmal die Fähigkeit der Düsseldorfer Oper, sich den Erwartungen eines modernen Publikums zu stellen und sie mit einzigartigen Szenen zu überraschen, wodurch der Besuch umso mehr zu einem Erlebnis wird. Insbesondere die Kulturszene muss sich in Zeiten eines Überangebots an Entertainmentmöglichkeiten und abnehmendem Interesses der Herausforderung stellen, die Aufmerksamkeit neuer und junger Gruppen zu gewinnen. Dass dieser Klassiker nicht nur etwas für erfahrene Operngänger ist, sondern durchaus auch junge Leute begeistern kann, davon bin ich nach diesem Abend überzeugt.  

Richard Wagners "Siegfried" findet noch am 22.04., 29.04., 06.05. und 10.05. im Opernhaus Düsseldorf statt. Jugendliche und Studenten sowie Azubis erhalten 50%-Ermäßigung auf die regulären Ticketpreise.  Mehr Infos bei der Oper am Rhein.

von CheshireCat

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