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Auf Christos goldenen Wasserstraßen

04.07.2016

Ich bin über das Wasser gelaufen. Über die "Floating Piers" des Künstlers Christo in Italien.

1985 hüllte sich die Pariser Pont-Neuf in ein gelbes Polyamid-Gewand. 1995 trug man am Reichstag Aluminium. Diese und weitere Kunstprojekte initiierte das Künstlerpaar Jeanne-Claude und Vladimir Yavachev Christo. 

2009 verstarb seine Frau. Ihr zu Ehren widmet er das jüngste Großprojekt: "The Floating Piers", das vom 18. Juni bis zum 3. Juli auf dem Iseo-See Besuchern öffentlich zugänglich gemacht wurde.

220.000 Polyathylenwürfeln bildeten einen Weg, ganz so, als würde man über das Wasser laufen. Diese Würfel wurden mit einem orangenen Stoff bezogen, der in der Sonne fast golden erschien. Die Stege verliefen zwischen den Inseln Sulzano, Monte Isola und der Insel San Paolos. Der Künstler verlangt weder Eintrittsgeld noch Spende: Die Installation stellt lediglich eine "Erweiterung der Straßen" dar und gehörte jedermann. 

1,3 Millionen Menschen - und ich war dabei

Folglich war der Andrang sehr groß. Beinahe 1,3 Millionen Menschen pilgerten aufgrund dieses einzigartigen Ereignisses an den kleinen See nahe Mailand. Ich habe den vorletzten Tag miterlebt. 

Zunächst hieß es: 5 Uhr aufstehen, 6.40 Uhr Abflug, 7.50 Uhr Ankunft in Mailand und weiter mit dem Mietwagen nach Brescia. Es durfte keine Zeit verloren gehen, deswegen fuhren wir direkt los. Der Wagen funktioniert, Koffer schnell verstaut, das Wetter zunächst verregnet, doch es klärt im Verlaufe des Vormittages auf. Das Navi führt den roten Fiat über die große Autobahn, vorbei an romantisch-italienischen Fassaden und leerstehende Gebäuden durch Kreisverkehre und marode Tunnel- Motorradfahrer jagen über die Straßen, LKWs hupen, der Verkehr staut sich.

Na gut, scheint wohl doch nicht so leer zu sein wie anfänglich gedacht. Die ersten Schilder mit "Floating Piers Parking" und "Shuttlebus" stimmen uns zuversichtlich. Wir gelangen an einen kleinen Ort mit Hafen und müssen feststellen, dass es zwar einen Parkplatz gibt, jedoch keinen Shuttle Bus. "No Shuttle, full, don't know when" wird uns mitgeteilt - aha! 

Auf der Suche nach einer Alternative erkunden wir das beschauliche Örtchen und staunen über die touristische Unversehrtheit. Trotz mangelnder Englischkenntnisse von deren und Italienischekenntnisse von unserer Seite, gelingt es uns mit Hilfe einer freundlichen Eisdame ein Boot inklusive Fahrer zu finden, die uns auf die andere Seite bringen - denn wir haben uns genau den Inselteil ausgesucht, der sich auf der anderen Seite des Sees befindet. 

Von der Anlegestelle des Bootes aus bis zum eigentlichen Schauplatz dauert der Fußweg zehn Minuten. Bereits von weitem sind die Menschenmassen zu erkennen. Polizisten bewachen die Umgebung, Rettungsboote patroullieren zu Wasser und das langhosige Personal (bei der Hitze!) zu Land. Die 16 Meter breiten Wege sind aufs Äußerste mit Spaziergängern gefüllt. Nur ein Teil der Installation ist leer: Eine abgelegene Insel mit Herrenhaus wurde abgesperrt, vermutlich aufgrund der vielen Besucher. 

Das richtige Erlebnis bietet sich einem erst barfuß, da man auf diese Weise die sanften Wellenbewegungen unter den Füßen spürt. Wie auf einem Wasserbett. Ich folge dem Weg und gerade an einer Abbiegung angekommen, so verlauten die Organisatoren bereits die Öffnung des zuvor geschlossenen Bereiches.

Jetzt gibt es keinen Halt mehr. Die Leute strömen auf die Oase zu, ich habe das Glück und bin unter den ersten, um die Schönheit der eingewickelten verlassenen Insel zu geniessen. Nur zehn Minuten später füllt sich auch dieses Gebiet und ich wandere zurück. Mittlerweile ist es vorne etwas leerer. Dort setze ich mich hin und beobachte, wie Leute aller Herren Länder sich hier eingefunden haben, um über Christos goldene Wasserstraße zu staunen. Es fühlt sich an, als sei man auf Strandurlaub, nur ohne die Liegen und die Schwimmerlaubnis. 

Wenn man dort entlangläuft, vergisst man doch schnell, dass es sich bei dieser Installation um ein Kunstwerk handelt. Darin steckt vermutlich ein Hintergrundgedanke des Künstlers: etwas ursprünglich Unnützes, Sinnloses dem Alltag der Menschen vorzustellen. Und ihnen zu zeigen: Hey, das ist eine Erfahrung wert! Einmalig war sie auf jeden Fall. 


Ab heute werden die Wege wieder abgebaut und recycelt. Dann wird es ruhiger am Iseo-See werden. Das Gebiet hat sich seine Erholung sichtlich verdient. 

von Softice

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