Oliver Keymis trifft Youpod
14.11.2012
Und da wir schon mal die Chance hatten, habe ich Herrn Keymis ein paar Fragen zum Thema Medien gestellt: Natalie Dayekh : Herr Keymis, warum ist der Tag der Medienkompetenz Ihrer Meinung nach Relevant? Oliver Keymis: Der Tag der Medienkompetenz ist wichtig, weil wir das Thema immer wieder nach vorne spielen müssen, damit möglichst viele Leute mitkriegen, erstens dass wir uns politisch damit befassen, zweitens dass es uns wichtig ist, dass möglichst viele teilhaben und mitmachen können und vor allen Dingen dann auch wissen wie es geht. Das vermittelt eben so ein Tag der Medienkompetenz, weil dort ganz viele Menschen die Möglichkeit haben zu zeigen was sie schon alles in dem Bereich unternehmen. Deshalb machen wir wieder den Tag im Landtag und Gott sei Dank gibt es ihn auch schon in anderen Städten, wie ich jetzt gerade nochmal gesehen habe. Die Jugendmedientage Düsseldorf sind ja auch sozusagen Tage der Medienkompetenz, speziell gerichtet auf Jugendliche. Aber Medienkompetenz richtet sich an alle in der Gesellschaft. Wir müssen mit der Vielfalt unserer Medien inhaltlich und technisch so gut wie möglich umgehen können. Dass ist für mich eine Art vierte Kulturtechnik und dafür braucht man Medienkompetenz.
Natalie Dayekh: Heißt dass, Sie sehen bestimmte Defizite bei Jugendlichen in Bezug auf Medienkompetenz? Oliver Keymis: Bei allen Generationen. Alle Generationen haben Defizite, weil wir ein anderes Verhalten gewöhnt sind. Wir sind gewöhnt uns so zu verhalten, dass wir etwas in Empfang nehmen, wie wir das von Radio oder vom Fernsehen her noch kennen und weniger gewöhnt sind wir, damit selbst aktiv umzugehen und ich glaube genau diesen Punkt müssen wir noch stärker erwischen und hinkriegen, sodass wir im Umgang mit den vielen Inhalten kompetent werden, also selber ein Stück weit Kompetenzen einordnen: Ist das für mich interessant oder nicht? Ist es für das, was ich mir politisch, gesellschaftlich, inhaltlich, moralisch oder sonst wie vorstelle für eine Gesellschaft von Bedeutung oder nicht? Das muss ich einschätzen lernen, das ist Medienkompetenz. Aber natürlich auch zu verstehen wie ich meine Sachen über die medialen Möglichkeiten transportieren kann und deshalb ist es wichtig. Und da haben alle Generationen noch zu lernen. Insgesamt müssen Jugendliche, Erwachsene und die älteren Mitbürger lernen dass die medialen Möglichkeiten ganz vielfältig sind und dass man damit umgehen kann. Und wichtig ist auch: ab und zu mal abzuschalten.
Natalie Dayekh: Kann Medienkompetenz denn politisch gefördert werden und wenn ja, wie? Oliver Keymis: Ja, aber nicht in dem Sinne dass man sagt, dass eine bestimmte politische Farbe jetzt bestimmte Dinge fördern muss, also da haben wir keine chinesischen Verhältnisse und das von irgendeinem Büro ganz oben gesagt wird, „dass wird gezeigt und das nicht“, das wollen wir alles nicht. Insofern muss sich das politische da immer sehr zurückhalten. Aber wenn wir politisch im Sinne von gesellschaftlich verstehen brauchen wir Förderung aus allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten und natürlich auch aus unseren gemeinsamen Steuermitteln damit wir uns stark machen und diese Sachen fördern. So wie Youpod ja auch aus den Steuernmitteln der Stadt Düsseldorf oder den Einnahmen der Stadt Düsseldorf gefördert wird. Und das ist wichtig, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe und da muss sich Politik auch noch für stark machen.
Natalie Dayekh: Ich habe gelesen, dass Sie einmal gesagt haben, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf und dass man eine „Internet UNO“ benötigen würde. Wie muss man sich das vorstellen? Oliver Keymis: Ja, soweit bin ich noch nicht (lacht). Also ich weiß noch nicht alles darüber. Aber die Idee ist schon zu sagen: Es ist wie im normalen leben auch. Es gibt bestimmte Rechte und Pflichten und die gelten im Internet ganz genauso. Es ist für mich so gesehen das Gleiche nur eben elektronisch übertragen. Und ähnlich wie wir auf der Welt immer wieder Probleme damit haben, dass bestimmte Ungerechtigkeiten auch mit Brutalität ausgetragen werden, so müssen wir das auch im Internet vermeiden. In dem Sinne wünsche ich mir eine Welt, eine organisierte Weltgemeinschaft im Internet, ähnlich wie die UNO, wo man in einer Volksversammlung zusammenkommt und gemeinsam berät was für diese Welt wichtig ist, und was grundsätzlich für alle bindend ist, zum Beispiel die Erklärung der Menschenrechte und ähnlich könnte ich mir das sozusagen auch für die digitale Welt vorstellen, dass wenn man so will, das ein Stück weit überträgt und sagt: Das ist für die digitale Welt auch von Bedeutung und das könnte eine Aufgabe der UNO, sozusagen eine UNO der digitalen Welt sein. Zu wissen, das wir diese beiden Welten haben, weil da hat sich wenn man so will, eine parallele Welt in der Elektronik entwickelt. Da läuft das Leben nochmal ab und das sollten wir ähnlich wie in der normalen, in der analogen Welt im Blick haben. Und deshalb ist es für mich wichtig, dass man das überlegt und das politische Schlagwort ist dann eben „Internet UNO“ - also eine Weltgemeinschaft der Netzmenschen. Das fände ich schon ganz interessant, wobei dass auch ganz eng beieinander liegt, denn die meisten Menschen sind ja auch Netzmenschen.
Natalie Dayekh: In sozialen Netzwerken äußern viele virtuell ihre Meinung, würden aktiv allerdings nie auf Demonstrationen gehen. Denken Sie dass durch Facebook und andere soziale Netzwerke Reflexionsvermögen verloren geht? Oliver Keymis: Sagen wir es mal so, es ist natürlich unendlich viel leichter zu sagen: Das mag ich, das mag ich nicht und das mit einem „Klick“ zu zeigen. Mein Lieblingsbeispiel ist immer der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der eine Doktorarbeit geschrieben hat und erwischt wurde wie er gepfuscht hatte und dann musste er zurücktreten. Und interessanterweise hatte er im Netz innerhalb von Tagen 500 000 Freunde bei Facebook. 500 000 Menschen haben gesagt, „super unser Mann, den unterstützen wir“. Und dann gab es eine Demo für ihn in Berlin am Brandenburger Tor und da waren dann ungefähr 150 Menschen. Mehr kamen da nicht zusammen. Und da wurde mir auch klar, dass es eben doch ein Unterschied ist, ob ich im Netz sage „ich bin dein Freund und unterstütze dich“, oder ob ich eben genau dafür auf die Straße gehe und mein Gesicht zeige. Das ist dann ein großer Unterschied. Also sich im Netz zu „committen“ und seine Meinung auszudrücken ist viel einfacher und letztlich auch mit viel weniger Risiko und Aufwand verbunden. Ich sitze dann nur Zuhause auf dem Sofa, surf ein bisschen und sage „den finde ich super - klicke drauf“. Das heißt aber nicht, dass ich lange darüber nachgedacht habe. Kurze Frage, kurze Antwort: Nein das Reflexionsvermögen wird dadurch nicht wesentlich erweitert. Ich habe den Eindruck, darüber nachdenken muss man noch selber, dass nimmt einem das Netz auch nicht ab.
Natalie Dayekh: Denken Sie, dass Menschen, die sich nicht in sozialen Netzwerken aufhalten weniger Mitbestimmungsrecht am politischen Geschehen haben und zwangsläufig ausgeschlossen werden? Oliver Keymis: Das glaube ich nicht direkt. Also ich zum Beispiel bin auch nicht bei Facebook, ich war da und hatte nach kurzer Zeit 1000 Freunde und hab mir gedacht da stimmt was nicht bei der Nummer und dann kam der Erste der sagte: „du hast mich bei Facebook nicht als Freund akzeptiert“, da ich drei Tage nicht mehr online war und dann dachte ich mir wenn das jetzt so ist, dass jemand persönlich beleidigt ist, weil ich ihn nicht als Freund „akzeptiert“ habe, möchte ich das lieber nicht mehr machen. Das kann ich dann auch irgendwann nicht mehr leisten. Dann ist auch mein Leben zu anstrengend und ich möchte auch noch ein Privatleben und wenn man das alles unter einen Hut bringen möchte, ist das für mich nicht leistbar. Ich müsste ein Team haben, ein oder zwei Leute die dauernd das beantworten, was da geschieht. Die ganz großen Profis haben das dann, also ich nicht aber ich glaube die Ministerpräsidentin, die haben jemanden da sitzen der sich darum kümmert, sonst geht es auch nicht. Das ist wiederum bei der Netzgemeinde nicht so beliebt, die wollen das eins zu eins, die wollen die Antwort face to face haben - direkt von demjenigen und das kann man eben nicht leisten. Das heißt aber nicht dass ich mich dadurch politisch weniger einmische oder mich weniger dafür interessiere – dass würde ich nicht daraus ableiten. Das hängt damit zusammen, dass es viele andere mediale Angebote gibt wie das Radio, Fernsehen, Zeitungen und auch das Internet natürlich. Wenn ich dies passiv nutze und nicht aktiv selber teilnehme. Ich kann als User ja auch einfach etwas abrufen und mich so über verschiedene Sachen informieren. Insofern ist die Vielfalt schon enorm und ein echter Gewinn, ich glaube, dass deshalb keine großen Unterschiede bestehen. Ich würde es weder in die eine noch in die andere Richtung betonen. Soll heißen, dass jemand der viel im Netz unterwegs ist nicht gleich besonders an vielen Fragestellungen interessiert ist und umgekehrt ist es nicht so, dass jemand der wenig im Netz unterwegs ist weniger interessiert ist. Die Logik stimmt in beiden fällen nicht.
Natalie Dayekh: Durch den arabischen Frühling ist immer wieder die Rede einer Facebook- und Twitterrevolution gewesen. Wie bewerten Sie diese Begriffe? Oliver Keymis: Es hat sicher eine Rolle gespielt, aber ich glaube sie wurde von unseren Medien im Westen überbewertet. Ich weiß von einer Menge Menschen, dass eben sagen wir mal in einer Stadt wie Kairo, schon noch ganz viele Leute miteinander reden und verbreitet haben. Weil viele auch keine Twitterfähige Geräte haben. Da sind viele Menschen ärmer als wir und die haben die Möglichkeit gar nicht, aber die haben sich natürlich auch ausgetauscht. Im Iran zum Beispiel ist es interessanterweise etwas anders, zumindest in Teheran, nachdem was ich davon weiß. Da gibt es eine ziemlich breit gebildete Schicht die auch über ein gewisses Geld verfügt also ein gewisses Vermögen und gewisse Einkünfte hat und die sind wiederum technisch relativ stark vernetzt. Auch die Jugendlichen und die haben schon sehr stark, was die Demonstrationen, diese grüne Bewegung damals mit den Bändern, die haben das sehr stark über die Technik organisiert, mehr als in den arabischen Ländern wie in Ägypten oder zum Beispiel in einem Land wie Libyen, da gibt es im Vergleich nicht so viele Handys. In Tunesien schon wieder etwas mehr. Also es ist so unterschiedlich, das hat auf jeden Fall eine Rolle gespielt. Das merkt man daran, dass im Iran irgendwann das Internet abgeschaltet wurde. Man hat gemerkt, dass sich das über diese Medien verbreitet, denn im Iran gibt es viele Menschen die ganz gut vernetzt operieren, natürlich leider noch nicht so frei. Aber es ist bei uns schon sehr überbewertet worden. Dort wurde gemerkt dass die Zeit abläuft und das spielt neben dem technischen Aspekt natürlich eine Rolle.
Natalie Dayekh: Letztes Jahr im September wurde auf dem Deutschen Bundestag über "Open Data" und "Open Government" gesprochen. Können Sie diese Begriffe erläutern? Oliver Keymis: Beides hängt damit zusammen, dass wir mehr Zugang organisieren wollen , die Leute sollen sozusagen offenen Zugang zu den Daten haben, die wir gemeinsam schon verwalten und sie sollen natürlich auch offenen Zugang zu den Prozessen haben, in denen sich diese Daten befinden und das ist mit Open Government gemeint. Letztendlich könnte man Open Government übersetzen mit „offenes, gemeinsames regieren“ in dem die, die regiert werden und die, die regieren über die technischen Möglichkeiten direkt in Kontakt stehen und sich auch an den Vorgängen beteiligen können, die zur Diskussion stehen. Es ist sicher etwas, was man weiterentwickeln kann, weil die technischen Möglichkeiten da viel größer sind. Es gibt aber immer auch Probleme, weil dies natürlich auch immer manipulationsanfällig ist. Also man kann natürlich auch in diesen Bereich hineingreifen und dann Dinge wieder verändern. Das ist ja das was wir durch die amerikanischen Wahlen mitkriegen. Dass sie dann mit der elektronischen Abstimmung auch ihre gewissen Manipulationsmöglichkeiten haben. Mein Lieblingsland ist da immer Florida. Ich war da noch nie dort aber ich lese immer, dass die auch lange brauchen bis sie ausgezählt haben, weil es angeblich immer ganz knapp ist. Die Elektronik hat ihre Tücken. Und deshalb hat die Partei der Ich angehöre gerade eine Urwahl durchgeführt. Und wen wundert es? Da wurde per Brief gewählt. Alle Mitglieder sind angeschrieben worden, knapp 60 000 und die bekamen einen Zettel nach hause und einen zweiten Umschlag – eine ganz normale Wahl. Und da glaube ich auch dran. Also Open Data und Open Government endet spätestens für mich an der Wahlurne. Ich glaube, dass es ganz entscheidend ist, dass man bestimmte Dinge noch so macht wie man sie noch macht, weil sie dann auch wirklich verbucht sind - nachprüfbar, zählbar, nicht manipulierbar in dem Sinne. Außer man lässt einen Zettel verschwinden aber das würde ja auch auffallen, weil sie ja als Zettel registriert sind. Es gibt schon bewährte Systeme, die die digitale Welt nicht einfach ersetzt. Insofern ein ja zu Open Government und Open Data, das heißt Zugang zu den Quellen, Zugang zu den Daten. Über diese elektronischen Möglichkeiten, die wir heute haben mitmischen, beteiligen, einbringen - aber nicht alle Prozesse sind am Ende so entscheidbar. Ich glaube wir brauchen immer Menschen die miteinander verhandeln und die dann auch gemeinsam bestimmen wie zum Beispiel in einem Parlament. Dies lässt sich nicht alles auf elektronischen Wege lösen. Es gibt viele Vorteile, aber am Ende muss der Mensch mit Fleisch und Blut die Dinge steuern.
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