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Pardon wird nicht gegeben – Das Leben als Konjunkturzyklus

25.05.2019

Wie ein Töpfer geht das Schicksal um die Menschen herum, klopft an ihnen, und wenn einer lange genug lebt, erreicht es die Stelle, die den Sprung hat und schlägt zu. Pardon wird nicht gegeben.

Nach dem Tod ihres Mannes zieht eine Witwe mit ihren drei Kindern von der Provinz in die deutsche Großstadt Berlin und wohnt fortan in einer spärlich eingerichteten Mietwohnung. Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch will sie sich nun hier mit ihren Kindern durchschlagen. Sie leben in aussichtsloser Armut, sodass die Mutter ihre Kinder zur Arbeitssuche schicken muss. Dabei ruht ihre ganze Hoffnung auf dem ältesten Sohn Karl, der nun – mit seinen noch jungen 16 Jahren – die Vaterrolle im Haushalt ausfüllen muss. Und tatsächlich gelingt ihm auch der gesellschaftliche Aufstieg: Er übernimmt das Unternehmen einer Holz- und Möbelfabrik, heiratet die Tochter einer großbürgerlichen Familie und bezieht mit den gemeinsamen Kindern ein vornehmes Haus in der Vorstadt. Doch das Glück ist nicht von Dauer, denn auch er bleibt von der Wirtschaftskrise nach 1929 nicht verschont.

Pardon wird nicht gegeben heißt der Roman, der vom deutschen Schriftsteller Alfred Döblin 1934 binnen sechs Monaten geschrieben wurde. Döblins bekanntestes und erfolgreichstes Werk ist der Roman Berlin Alexanderplatz, aus dessen Schatten seine anderen Werke, darunter auch Pardon wird nicht gegeben, nie hervortreten konnten. In der Erzählung geht es um das Schicksal einer Familie im turbulenten Berlin der 1920er Jahre. Nun wurde der Roman, der auch autobiographisch geprägt ist, in einer Theaterfassung des österreichischen Schriftstellers petschinka erstmals in Deutschland auf die Bühne gebracht. Am Schauspiel Köln führte dabei der Hausregisseur Rafael Sanchez Regie. Deutsche Erstaufführung war am 24. Mai im Depot 1.

Auf die Armut und die Konjunktur folgt schließlich die doppelte Krise: Seine Arbeit in der Fabrik als auch seine Ehe sind  bedroht. Als gesellschaftlich Ausgestoßener führt er fortan ein Doppelleben in Kneipen und Bordellen, ehe er am Ende in  die Fronten der Straßenkämpfe zwischen der Bürgermiliz und den Aufständischen gerät. Und so steht er wieder vor der Frage, die ihn schon bei seiner Ankunft in Berlin beschäftigt hat: Kapitalismus oder Gerechtigkeit?

Die Bühne in der Inszenierung von Rafael Sanchez ist collagenhaft zusammengesetzt: Ein riesiger, größtenteils leerer Raum, an dessen Rückwand ganz oben Fenster mit zugezogenen Gardinen zu sehen sind. Diese Fensterfront wird sich im Laufe des Abends als Abgrenzung zu einem weiteren, kleinen Raum entpuppen. Von links nach rechts zieren darüber hinaus zwei Laufstege, einer vorne an der Rampe und einer ganz hinten an der Rückwand, die Bühnenfläche. Neben einigen kleinen Möbelstücken und Requisiten ist besonders ein Glaskasten auf einem Anhänger zu erwähnen und vier Flachbildschirme, jeweils zwei rechts und links, an den Bühnenwänden. Die Ausstattung ist sehr einfach und unterstreicht dem wirtschaftlichen Zustand, indem sich die Familie und das ganze Land befindet. Die Inszenierung arbeitet vor allem mit Videoprojektionen, die auf den Bildschirmen zu sehen und auf die drei Bühnenwände geworfen werden. Neben Live-Projektionen (als schwarz-weißes Flimmerbild) werden u. a. auch Filmausschnitte gezeigt. Das sorgt dafür, dass immer wieder neue Perspektiven aufgezeigt und kleine Szenerien in diesem übergroßen Bühnenbild herangezoomt werden. Die sechs Schauspieler*innen und ein kleines Mädchen tragen alle graue Ganzkörperanzüge im Fabrikarbeiter-Stil. Je nach Figur kommen dann noch andere Kleidungsstücke dazu – doch ihren Arbeiteranzug können sie zu keinem Zeitpunkt ablegen. 

Alle Figuren sind aus dem selben Holz geschnitzt. Zu Beginn sitzt Martin Reinke als Kaiser Wilhelm II. verkleidet in dem Glaskasten und hält dessen berühmte Hunnenrede, die vor allem wegen seiner drastischen Aussagen in die Geschichte einging, ganz monoton und unaufgeregt. So wird dessen inhaltliche Brisanz relativiert und gerät nicht in den kritischen Fokus. Danach verwandelt sich Reinke in einen omnipräsenten begleitenden Erzähler, schlüpft in die Rollen des Anwalts und Onkels und verziert den Abend musikalisch an Geige und Klavier. Er sticht abermals aufgrund seiner schauspielerischen Klasse aus dem Ensemble heraus, hält die Inszenierung am Leben und entlockt dem Publikum auch mal den ein oder anderen Lacher. Die Themen des Romans Wohlstand, Armut, Familie und Arbeit werden in der Inszenierung zwar sichtbar herausgearbeitet, doch die Inszenierung bleibt hinter den Ansprüchen zurück: Zu viel Videotechnik-Einsatz, viel zu lang, vieles bleibt unverständlich und schwer zu durchdringen und ein riesiges Bühnenbild, indem die Spieler*innen förmlich untergehen und wie kleine Spielzeugfiguren umher tippeln. Das ganze ist weder packend noch sorgt es dafür, dass man in die Geschichte hineingezogen wird. Das ändert sich mit dem zweiten Teil des rund 3 Stunden 15 Minuten langen Abends zwar ein wenig, aber über einen durchschnittlichen Theaterabend kommt das ganze nicht hinaus: Kann man sich anschauen – kann man aber auch einfach sein lassen. Dankbarer Applaus für das künstlerische Team und das sieben köpfige Ensemble.

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von Marvin

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