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Das Gesetz der Schwerkraft – "Ich will einfach nur ein normaler Junge sein"

11.05.2021

Normal zu sein hat in unserer heutigen Gesellschaft irgendwie einen faden Beigeschmack bekommen. Denn normal sein bedeutet ja auch irgendwie gleichzeitig langweilig zu sein – und das ist etwas, was vor allem Teenager nun mal gar nicht sein wollen. Doch normal zu sein, in dem Sinne, dass man eine Norm erfüllt, die innerhalb einer Gesellschaft als anerkannt gilt, hat auch seinen Vorteil: Man geht in der Masse unter und wird in Bezug auf dieses Merkmal unsichtbar. Die Menschen hingegen, die aus dem Raster fallen, die "anders" sind, sich "anders" fühlen oder "anders" lieben, werden wahrgenommen, sichtbar und erfahren dabei oftmals Ausgrenzung. 

Das ist eine Erfahrung, die auch die beiden 14-jährigen Protagonisten Dominik und Alfred, kurz Dom und Fred, in ihrem noch sehr jungen Leben machen mussten: Dom wurde als Mädchen geboren, hat aber das männliche Pronomen angenommen und trägt unscheinbare, eher männertypische Kleidung. Denn in Mädchenkleidung fühle er sich verkleidet. Daher lehnt er die binäre Geschlechterkonzeption vollkommen ab. Fred ist ein Junge, der in seiner Kindheit immer gerne geturnt hat und sich stets wohlfühlte "in hautengen Jeans". Doch sowohl in seinem Heimatdorf als auch auf seiner neuen Schule wird er von anderen Jungs aus seiner Klasse dafür gemobbt und als "die Neue" bezeichnet. Außerdem lässt er durchblicken, dass er eher Jungs als Mädchen begehrt. Als Fred mit seiner Familie in das neue Dorf zieht, lernt er Dom auf Social Media kennen und es kommt zu einem ersten Aufeinandertreffen der beiden an der Brücke, die das Dorf mit einer angrenzenden Stadt verbindet. Die Brücke wird für die beiden sowohl zum zentralen Treffpunkt als auch ihrem Flucht- und Sehnsuchtsort. Eine tiefgehende Freundschaft entsteht hier, die mit der Zeit einige Tief- und Höhepunkte erleben wird.

"Das Gesetz der Schwerkraft" heißt jenes Theaterstück, das der kanadische Dramatiker Olivier Sylvestre geschrieben hat und indem er sich kritisch mit unserer westlichen Gesellschaft auseinandersetzt, die von der Heteronormativität und einem binären Geschlechtersystem geprägt ist. Die Leiterin des Jungen Staatstheater Kassels und Regisseurin des Abends, Martina van Boxen, hat das Stück in Kassel inszeniert und wurde mit ihrer Produktion zu den 75. Ruhrfestspielen Recklinghausen eingeladen. Coronabedingt wurde die Inszenierung in der Sparte "Kinder- und Jugendtheater" am 10. Mai in digitaler Version gezeigt. Dafür hat das Produktionsteam ein eigenes Kamerateam engagiert, das die rund 65-minütige Inszenierung mit mehreren Kameras aus verschiedenen Perspektiven einfängt. Aufgrund der dynamischen Kameraführung wirkt der Bühnenraum deutlich größer und man ist sehr nah dran an den beiden Schauspielern. Ein digitales Produkt also, das sich irgendwo zwischen abgefilmtem Theaterabend und Theaterfilm einordnen lässt. Der Einsatz von Überblendungen und Videoelementen schafft außerdem Abwechslung und verstärkt den Vorstellraum des Publikums. 

Als Zuschauer*in blicken wir in einen düsteren Bühnenraum. Assoziativ angedeutete schwarze Blöcke stehen auf der Bühne. In der Mitte sehen wir eine dem Publikum zugedrehte Brücke mit Geländer. Theaternebel und Windgeräusche umzeichnen die triste Kulisse, in die sich die beiden Schauspieler mit ihren dunkle, unscheinbaren Kostümen perfekt einsetzen. Das ändert sich aber, wenn die beiden sich in ihrem Safe Space befinden und der Buntheit ihrer Identitäten freien Lauf lassen können. Dann ist es Fred, der sich schminkt und glitzernden Ohrschmuck trägt, und Dom, der mit rosafarbener Perücke, gelbem Rock und aufgeklebtem Schnurrbart wie wild auf dröhnender Heavy-Metal-Musik umhertanzt. In dieser Freundschaft ist ausreichend Platz für Anderssein und die Selbstfindung, die für alle Teenager in dieser Lebensphase ein zentrales Thema ist. Und das Anderssein kommt hier, beeindruckenderweise, völlig ohne Begrifflichkeiten wie Gender, Transidentität oder Homosexualität aus. Und dennoch sind diese Themen stets omnipräsent. Hinterfragt werden so auferzwungene Normen und das Anderssein als Problem. "Anders zu sein als die anderen ist doch kein Fehler", singt die Rapperin Nura in ihrem Song "Auf der Suche", der mir als Zuschauer sofort im Kopf umherspringt. Und genau darum geht es. Gemeinsam beschließen sie, alle Gesetze, die die beiden aufhalten könnten, sie selbst zu sein, einfach aufzuheben. Und dran glauben muss dabei natürlich auch das Gesetz der Schwerkraft. Eine klassische Coming-of-Age-Geschichte und eine poetische Erzählung über Freundschaft, das Anderssein und die Akzeptanz von Vielfalt. Es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Yeah, f*** the system! 

"Das Gesetz der Schwerkraft" ist noch bis Donnerstag, 13. Mai, 12 Uhr on demand im digitalen Ruhrfestspielhaus zu sehen. Streamingtickets und weitere Informationen sowohl zum Stück als auch zum gesamten Festival findet Ihr hier.

von Marvin

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