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Nur einen Abend (Serie: "Jungsein in Zeiten von Corona")

12.04.2021

Es war 'ne dumme Idee gewesen, er hatte es gewusst. Aber Miles hatte natürlich das letzte Wort gehabt. Um fair zu sein, wäre er wahrscheinlich auch mitgegangen, hätte Miles ihn einfach nur kurz gefragt. Vielleicht hätte er sich sogar selber eingeladen. Harry hantierte nervös an seiner Jacke herum. Das Risiko war ihm eigentlich zu groß, aber die andere Option wäre noch viel schlimmer gewesen. Zuhause zu sitzen, sich alleine fühlen. Das Wissen, jeden Tag aufzustehen und den gleichen Tag zu leben wie der gestrige. 

Langsam aber sicher verwandelte sich alles in ein Gemisch aus Grautönen. Harrys Zimmer war frisch gestrichen worden, doch schon jetzt hatte er sich an dem Blau sattgesehen. Jeden Tag der gleiche langweilige Schulablauf. Als der Unterricht noch in der Schule selber stattfand, hatte Harry sich auf den Unterricht gefreut, auf das bunte Treiben und auf seine Freunde. Jetzt fehlte das alles. Er hatte jetzt zwar meist weniger Unterricht, doch kam er ihm von Tag zu Tag länger vor. Corona hatte alles kaputtgemacht, sein Leben war auf Pause gedrückt und doch verstrich die Zeit. Miles war ihm da gerade recht gekommen. Miles mit seiner Einladung zu der illegalen Party. Harry mochte eigentlich keine großen Partys, er mochte die Musik meist nicht und es waren ihm zu viele Menschen. Die letzten Wochen allerdings hatten seine Meinung geändert. Er vermisste das Feiern und die vielen Menschen. Er vermisste die laute Musik und selbst den Alkohol. 

"Kommst du von alleine oder muss ich dich ziehen?" Harry hatte gar nicht bemerkt, dass er stehengeblieben war und erst als Miles ihn durch die Tür in das fremde weiße Haus schob, realisierte er, was er tat. Miles war immer die treibende Kraft hinter ihrer Freundschaft gewesen und hatte dafür gesorgt, dass Harry sich aus seiner Komfortzone bewegte und so hatte er ihm auch dieses Mal vertraut. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Er dachte an seine Eltern zuhause und an seine Großeltern, wie sie an Weihnachten auf das gemeinsame Feiern verzichtet hatten. "Wie egoistisch von dir", würde seine Mutter sagen, wenn sie von der Party wüsste – und Harry wusste, dass sie recht hätte. Aber das bisherige Gefühl der Einsamkeit überwog das schlechte Gewissen. 

Harry atmete laut die Luft aus. Drinnen war es laut und stickig. Viele Leute, die er kannte, standen hier und da und lachten miteinander. Er war es gar nicht mehr gewöhnt, so viele Leute so beisammen zu sehen. "Hier, trink das!" Miles drückte ihm einen Becher mit einer rötlichen Flüssigkeit in die Hand. "Was ist das?" Harry roch daran und seine Augen begannen zu tränen. 

"Es riecht … stark", stellte er fest. "Es ist stark", grinste Miles. Die beiden mussten sich anschreien, damit sie sich über die Musik hinweg hören konnten. Dass noch niemand die Polizei gerufen hatte, war ein Wunder, allerdings lag das Haus auf dem Land, die nächsten Leute wohnten wahrscheinlich 2 Kilometer weit weg.

"Jetzt trink schon", drängte Miles und trank seinen eigenen Becher in einem Zug leer. Harry seufzte kurz, dann machte er es Miles nach. Das Zeug brannte, aber gleichzeitig schien es, als würde etwas von ihm abfallen. Das hier war normal. Zwar war es bescheuert und Harry hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, allerdings hatte er sich seit Wochen nicht mehr so lebendig gefühlt wie heute Abend. Die Leute, mit denen er nun redete und lachte, waren Leute, die er vermisst hatte, obwohl er sie eigentlich gar nicht kannte. Die Party war eine wunderbare Abwechslung zum Schulstress und den immer gleichen Tagen, und Harry hieß sie mit offenen Armen willkommen.

"Hast du keine Angst?" brüllte Harry irgendwann über die laute Musik hinüber zu Miles. "Vor was denn? Polizei oder Corona?", rief Miles. "Keine Ahnung, beides?" Harry wusste, dass er allmählich zu lallen begann. "Heute nicht." "Hä?" machte Harry. "Haben wir uns das nicht verdient? Nur einen Abend rausgehen? Sollen die anderen doch denken, was sie wollen. Alter, wir verpassen die beste Zeit unseres Lebens. Wir sind die ganze Zeit zuhause und was machen wir? Wir lernen. Langsam seh ich den Sinn nicht mehr."

Harry verstand, was er meinte. Er fühlte sich ja schließlich genau so. "Nur für einen Abend", sagte Miles. "Nur für einen Abend", sagte Harry.

Harry hatte seinen Entschluss gefasst. Gerade wollte er sich einen weiteren Becher mit rötlichem Gemisch einschütten, als ein Mädchen in den Raum gestürmt kam und hektisch den Stecker aus der Musikanlage zog. Von jetzt auf gleich war es mucksmäuschenstill. "Es hat geklopft und es ist keiner von uns", wisperte das Mädchen hektisch. Harry wurde heiß und kalt gleichzeitig. Nur für einen Abend. War es einer zu viel gewesen?


Autorin: Von Fabienne Weyand

Dieser Text ist im Bildungsgang "Sprache und Literatur" an der Lore-Lorentz-Schule entstanden. Im Rahmen des Faches Literatur verfassten die Schülerinnen und Schüler der elften Klasse Kurzgeschichten zum Thema "Jungsein in Zeiten von Corona". 

von Fabienne Weyand

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