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Geächtet – Können wir unsere Herkunft überwinden?

21.05.2019

Muslim zu sein – wahrer Muslim –, das heißt nicht nur, an all das zu glauben. Es heißt auch, dafür zu kämpfen. Und selbst wenn man zu den abtrünnigen Muslimen gehört, die nach dem Dinner neben ihrer schönen amerikanischen Ehefrau ihren Scotch schlürfen – und in den Nachrichten zusehen, wie im Mittleren Osten Menschen für Werte sterben, die, wie man gelernt hat, reiner sind – und strikter – und wahrer ... empfindet man zwangsläufig ein kleines bisschen Stolz. 

Amir Kapoor, der Sohn einer pakistanischen Einwandererfamilie, hat es scheinbar geschafft: Er ist ein erfolgreicher Anwalt und bewohnt mit seiner Frau Emily, einer erfolgreiche und hübschen Künstlerin, ein Loft in der Upper East Side von Manhattan. Demnächst soll er zum Partner der jüdischen Kanzlei werden, in der er arbeitet. Er ist vollkommen assimiliert und hat sich von seinen pakistanischen und islamischen Wurzeln distanziert. Emily, eine weiße Amerikanerin mit protestantischen Wurzeln, hat für ihre neuesten Werke Inspiration in der islamischen Kultur gefunden, sehr zum Missfallen ihres Mannes. Als Emilys Galerist Isaac, ein jüdischer, einflussreicher Kurator, und dessen Frau Jory, eine afroamerikanische Kollegin Amirs, eines Abends zum Dinner vorbeikommen, zeigt das scheinbar perfekte Leben Amirs Risse.

Geächtet heißt das Erstlingswerk des US-amerikanischen Schriftstellers und Theaterschauspielers Ayad Akhtar. Er wuchs als Sohn pakistanischer Einwanderer in Milwaukee, der größten Stadt im Bundesstaat Wisconsin, auf. Für sein Theaterstück Geächtet (engl. Disgraced) wurde er mit dem Pulitzer-Preis 2013 und dem Nestroy-Preis 2017 ausgezeichnet. Außerdem wurde sein Werk zum besten ausländischen Stück 2016 von der Fachzeitschrift Theater heute gewählt. Uraufgeführt wurde es im Januar 2012 in Chicago ehe es vier Jahre später im Deutsches SchauSpielHaus Hamburg seine deutsche Erstaufführung feierte. Am Schauspiel Köln hat sich Intendant und Regisseur Stefan Bachmann das Erfolgsstück vorgenommen und es in der Außenspielstätte am Offenbachplatz inszeniert. Premiere war am 24. Mai 2017. Dernière war am 29. Mai bei einem Gastspiel am Theater Winterthur.

Je mehr Alkohol bei der Dinnerparty fließt, desto stärker kristallisieren sich die Konfliktlinien heraus. Es geht nicht mehr um Banalitäten des Alltags, sondern um Religion, Rassismus, den Islam und Terrorismus. Die Gespräche werden emotionaler, hitziger. Alte Wunden reißen auf. Verhaltensmuster, die man längst abgelegt zu haben scheint, kehren zurück. Unverzeihliche Dinge werden gesagt und getan und gerade Amir muss sich eingestehen, dass er zu dem wird, was er immer so verabscheut hat: Ein Man, der fanatische und antisemitische Parolen von sich gibt und seine Frau schlägt. Das Gespräch enthüllt, wie zerbrechlich das Selbstbild derer sein kann, die sich einer anderen Welt verschrieben haben, als jener, in die sie einst hineingeboren wurden.

In Stefan Bachmanns Inszenierung schaut das Publikum auf einen geschlossenen Guckkasten, dessen vierte Wand lediglich aufgebrochen ist. Eine Fototapete mit dem Panorama Manhattans ziert die Wände. Der Boden zeigt einen Park mit all seinen grünen Bäumen aus der Vogelperspektive. Inmitten des Guckkastens ist eine goldenes Geländer mit einer Treppe nach unten platziert. Lediglich hierüber sind Auf- und Abtritte der Protagonisten möglich. Der Raum ist edel eingerichtet: gepolsterte Sitzblöcke, Tische mit Büchern, Blumen und einer kleinen Hausbar. Der Wohlstand Amirs und seiner Frau Emily ist unverkennbar. Auch die Kostüme zeigen keine Überraschung und sind den Stereotypen, die sie darstellen, angepasst: Amir in einem schicken, edlen Anzug, und Emily mit Brille und einem lockeren, teuer aussehenden Gewand. Einzelne Anglizismen des Originaltextes verwendet Bachmann in seiner Inszenierung: Honey oder Baby beispielsweise. Das wirkt zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, unterstützt aber die Darstellung des amerikanischen Settings. Nach der Etablierung der Figuren verspricht vor allem deren Konstellation einiges an Konfliktpotenzial: Jeweils zwei Pärchen, die überkreuzt zwei Anwälte*innen und zwei Künstler*innen zeigen, von denen ein Partner jeweils pro und der andere contra Islam spricht. Das zeigt sich auch an deren Verhältnisse untereinander: Jory hintergeht Amir auf der Arbeit, Emily und Isaac hatten auf einer Geschäftsreise einen One-Night-Stand und die Affäre noch nicht überwunden. Es kommt wie es kommen muss: Jory erwischt Emily und Isaac beim Kuss und Jorys Hinterlistigkeit auf Arbeit fliegt bei Amir auf. Man sieht förmlich, wie sich der Abgrund auftut. Vor direkter Gewalt wird auch in der Inszenierung nicht zurückgeschreckt: Es wird sich angespuckt, geschubst und geschlagen und auch vor höchst diskriminierenden Wörter, wie dem N-Wort, wird nicht zurückgeschreckt. Welche Wege man (trotz) seiner Herkunft eingeschlagen kann, zeigen die Schlussszenen: Aus Amirs Neffen Abe, am Anfang noch ein süßer Junge mit buntem Schulrucksack, wird ein rauschbärtiger Salafist, der radikalisiert wurde und die Welt zurückerobern möchte. Und aus seiner Frau Emily, die sich nach dessem Gewaltakt von ihm getrennt hat, wird eine emanzipierte Frau in Anzug mit Krawatte. Und Amir? Der steht nicht mehr in seinem edlen Anzug da, sondern trägt nur noch legere Kleidung und bleibt als einziger in der Wohnung zurück.

Das Stück ist eine gelungene Mischung aus Komödie und Drama: Doppelbödig, komplex und zutiefst beunruhigend. Stefan Bachmann setzt das Stück in ein kluges Setting und trennt die Szenen durch konsequente Blacks und schöne Überbrückungsmusik, die dem unruhigen Stück natürlich völlig widerspricht. Geächtet zeigt lediglich die Spitze des Eisbergs – denn die gesellschaftlichen Probleme sitzen tiefer. Großer Applaus für einen anregenden Theaterabend, der zurecht über zwei Jahre lang im Schauspiel Köln auf dem Spielplan stand.

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von Marvin

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