Düsseldorfer Jugendportal

Sprich über deine Stadt!

640 640 1000 1000 1000

digi/topia – Eine performative Reise in die Zukunft

19.05.2019

Utopia, Dystopia, digi/topia – Wie unsere Zukunft aussieht, steht noch in den Sternen. Aber die aktuellen technischen Entwicklungen lassen auf eine durch und durch digitalisierte Zukunft schließen. Am Schauspiel Köln haben 30 Spielerinnen und Spieler zwischen 13 und 78 Jahren Utopien und Dystopien unserer digitalen Welt erforscht und sie in Form einer performativen Reise künstlerisch umgesetzt. Unter dem Titel digi/topia hat Regisseur Bassam Ghazi (zuletzt: Concord Floral, Deutsche Erstaufführung am 16. November 2018) mit seinem zehnköpfigen künstlerischen Team eine 90-minütige Performance durch die Außenspielstätte und die angrenzende Baustelle am Offenbachplatz inszeniert. Premiere war am 17. Mai.

Die Welt von digi/topia ist vollständig überwacht. An allen Ein- und Ausgängen befinden sich Videokameras und ohne Akkreditierung geht hier gar nichts. Jeder Zuschauer erhält zu Beginn eine Probanden-Nummer und hinterlässt, meist nicht hinterfragend, Daten wie seinen Namen und die Schuhgröße. Auf der Bühne werden die Zuschauer dann von zwei jugendlichen Wissenschaftler*innen in weißem Kittel in die Welt der Zukunft eingeführt. Mit der neuesten Technik versteht sich. Alle sitzen auf gläsernen Stühlen in zwei Bahnen mit Blick auf die abgedunkelte Zuschauertribüne und erhalten eine Virtual Reality Brille und einen Controller. Hier erhalten sie Einblick in die digitalisierte Welt mit Robotern und Drohnen. Eine beeindruckende Programmierung, dessen Wert am Ende der Performance aber durchaus bezweifelt werden kann. Dann dürfen die Probanden in den nächsten Raum und treffen auf einen ziemlich schrägen Wissenschaftler, der von seiner erfundenen Zeitmaschine berichtet. Durch die Gänge hinter den Kulissen geht es dann in den etwas abseitigen Teil des Foyers. Das Publikum erfährt, dass es nun vier Phasen des Experiments im Labor durchlaufen muss, ehe es wieder zurück in die Gegenwart kehren kann. 

Die erste Phase "Bestandsaufnahme und Datenerfassung" wird im Vorraum der Toiletten im Untergeschoss eingeläutet. Zwei junge Männer, natürlich auch in weißen Kitteln, erfassen ganz ungehindert die Daten der Probandengruppe in Form von Fragen: Wer nutzt PayPal? Wer kann ohne das Internet nicht mehr leben? Mit jeweils einem Tablet in der Hand erschaffen sie die Illusion, dass sie die Daten tatsächlich erfassen und dass hinterher etwas damit passieren wird. Doch wie viele dystopische Vorstellungen bleibt auch diese nur angedeutet. Es fehlt an letztlicher Konsequenz, um die Folgen von unserem naiven Daten-Verschenken aufzuzeigen. Die zweite Phase zeichnet eine große Utopie, die verschiedene Visionen beleuchtet: Lebenslange Jugend und Schönheit, Auswanderung auf einen anderen Planeten, neue Formen der Demokratie, des Wohnens und der Liebe. Die Darsteller*innen präsentieren ihre Visionen in kleinen Szenen und geben neue Blicke auf das mögliche Leben in der Zukunft. In der dritten Phase befinden sich die Probanden in einer dystopischen Welt. Im sogenannten Sicherheitszentrum werden die Probanden auf die nächste Phase vorbereitet: festes Schuhwerk, Helm, Sicherheitsweste. Nun geht es in die unterirdischen, fensterlosen Gänge Richtung Großbaustelle Offenbachplatz. Und die Dystopie hat es in sich: bewusstseinserweiterndes Serum, Experimente, die aus Unterhaltungszwecken von Ärzten an Menschen durchgeführt werden, Schmerz als lustmachende Sucht. Die Welt setzt sich mosaikhaft nach und nach vor den Augen der Probanden zusammen und zeigt gruselige Visionen für das Leben von morgen. Und am Ende dieser Reise durch die Dystopie ist klar: Das Leben, wie wir es heute kennen, ist vorbei. Die Chance, diese grauenhafte Entwicklung aufzuhalten, wurde nicht genutzt. Recht fehl am Platz wirkt nach dieser Erkenntnis dann eine Szene auf der Baustelle im kaum wieder zu erkennenden Theatersaal, als eine ehemalige Schauspielerin von ihren Auftritten auf der Bühne erzählt. In der letzten Phase des Experiments, jetzt inmitten der Baustelle, kommen die Probanden in ein digitales Experiment. Jeder soll auf einem eigenen Tablet einen Avatar für seine persönliche Zukunft erstellen. Dabei können sowohl Eigenschaften als auch die Form des Wesens (Mensch, Cyborg etc.) und dessen Aussehen bestimmt werden. Eine nette Spielerei, die aber lediglich darin münzt, dass sich die Probanden ihren jeweiligen Avatar gegenseitig zeigen können. Es fehlt immer wieder an Konsequenz in dieser Performance. Verknüpft wird das ganze mit einer tänzerischen Einlage zweier Frauen des Orakels von Delphi getreu dem Motto "In der Vergangenheit liegt die Zukunft". Einzelne Probanden erhalten eine Prophezeiung. Doch jeder entscheidet für sich, was er draus macht. Dann endet die performative Reise sehr ruppig: Es geht runter ins Hausfoyer, wo wir uns nun wieder in der Gegenwart befinden sollen. Mit dem Satz "Denken Sie nicht an morgen, denken Sie an heute" wird das Publikum dann nach draußen geschickt und die Performance ist vorbei.

An Ideen hat es dem Ensemble und Regisseur Bassam Ghazi sicher nicht gefehlt. Er musste eine Entscheidung treffen: Entweder er zeigt viele verschiedene Visionen der Zukunft und reißt diese kurz an oder er erschafft eine gut durchdachte Vision, wo er sich auf einzelne Aspekte fokussiert. Er hat sich für ersteres entschieden und sorgt damit für einen blassen Abend. Schauspielerisch ist das ganze trotz Laiendarsteller*innen auf gutem Niveau. Nur leider verliert es sich nach und nach im Kontext Großbaustelle und bleibt so hinter den Erwartungen zurück. Die Performance wollte viel und hat dadurch doch wenig geschafft. Ein roter Faden und eine gut gesetzte Klammer hätten dem Abend mehr als gut getan.

In der nächsten Spielzeit widmet sich Regisseur Bassam Ghazi dann erneut dem Thema "Zukunft" und untersucht die Grenze zwischen Utopie und Dystopie. Er inszeniert "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley in einer Bühnenfassung von Julia Fischer. Auf der Bühne stehen dann, wie bereits in seinen Theaterproduktionen "real fake" und "Concord Floral",
14 Kölner Jugendliche. Premiere ist am 28. September in der Außenspielstätte am Offenbachplatz.

***Noch mehr #Theatertipps findet ihr auf youpod.de/theater.***

von Marvin

Kommentar verfassen

Bitte fülle alle Felder aus die mit * markiert sind.