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Iphigenie – In Bochum treffen Euripides und Jelinek aufeinander

21.03.2019

"Ich bin in eine Zwangslage geraten, dass ich den blutigen Mord an der Tochter ausführen muss."
"Wie? Wer soll dich zwingen, dein eigenes Kind zu töten?"
"Das gesamte hier versammelte Heer der Griechen."
"Nein, nicht wenn du das Mädchen zurück nach Argos schickst."
"Wie das, heimlich?" 
"Die Masse brauchst du nicht zu fürchten." 

Der trojanische Krieg ist ausgebrochen. Das griechische Heer ist unter der Führung von Agamemnon, dem Bruder des Griechenkönigs Menelaos, auf dem Weg nach Troja, um zu kämpfen und Rache zu üben. Denn Paris, der Sohn des trojanischen Königs Priamos, hat Helena, die Frau des Menelaos, erobert, entführt und nach Troja gebracht. Das versammelte Heer rastet derzeit noch in der Hafenstadt Aulis und will nun weiter gen Troja segeln. Doch die Göttin Artemis bewirkt eine Windstille, die eine Weiterfahrt unmöglich macht. Der Seher Kalchas prophezeit, dass Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfern muss, damit Artemis die Windstille aufhebt. Unter dem Vorwand, dass ihr Vater sie mit dem Helden Achill verheiraten will, wird Iphigenie durch einen Brief nach Aulis gelockt. Doch den Vater befallen Zweifel und er möchte seine Tochter durch einen weiteren Brief warnen und ihre Anreise nach Aulis verhindern. Aber der Brief wird von seinem Bruder Menelaos abgefangen und Agamemnon wird zur Rede gestellt.

Die Tragödie Iphigenie in Aulis wurde von dem griechischen Tragiker Euripides zwischen 408 v. Chr. und 406 v. Chr. geschrieben. Die zentrale Figur ist Iphigenie, die Tochter Agamemnons und Klytaimnestras, die geopfert werden soll, damit das griechische Herr in den trojanischen Krieg ziehen kann. Am Schauspielhaus Bochum hat sich nun der tschechische Regisseur Dušan David Pařízek mit Euripides Text befasst und ihn mit Elfriede Jelineks Ein Sportstück verbunden. Jelinek sieht im Sport eine moderne Form des Krieges, eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Eine zentrale Stellung nimmt bei ihr der Theaterchor (in Anlehnung an den Chor in der klassischen griechischen Tragödie) ein, der in Sportkleidung auftritt und Textblöcke skandiert. Was als reines Ertüchtigungsritual beginnt, endet kurzerhand als Hetze im (Kriegs-)Rausch. Unter dem Titel Iphigenie feierte der Theaterabend am 16. März im Schauspielhaus Premiere.

Die Brüder Menelaos und Agamemnon sind im Streit um die Opferung von Iphigenie. Menelaos, gepackt von Mitleid, will schon nachgeben und seinem Bruder das große Opfer erlassen, als ein Bote zu ihnen trifft und die Ankunft von Klytaimnestra und Iphigenie vermeldet. Doch Agamemnon ist es nun, der nicht mehr ablassen will von dem Opfer. Er beschließt die Opferung und will diese vor seiner Frau geheimhalten. Als die Mutter der Braut und der künftige Schwiegersohn Achill aufeinandertreffen wird klar, dass dieser gar nichts von einer Hochzeit weiß. Die Prophezeiung des Kalchas wird offenbar und Achill, in tiefem Mitleid für die grausame Intrige von Agamemnon, will folglich Iphigenie vor dem Tod bewahren. Der Konflikt zwischen Agamemnon, Achill und Iphigenie spitzt sich immer weiter zu: Agamemnon, der fest entschlossen seine Tochter für Griechenland opfern will, Achill, der das Opfer verhindern will, und Iphigenie, die schließlich ihr Schicksal anerkennt und bereit ist, für Griechenland zu sterben.

In Pařízeks Inszenierung, für die er das Bühnenbild höchstselbst entworfen hat, blickt der Zuschauer auf eine hohe hölzerne Wand, die diagonal auf der Drehbühne platziert ist. Links und rechts neben der Spielfläche stehen hölzerne Stühle und Kleiderstangen mit Kostümen, die im Laufe des Abends von den sechs Spielerinnen und Spielern eingewechselt werden. Im Zentrum dieses Theaterabends steht ganz und gar der Text, eine ausgeschmückte Kulisse bedarf es dabei nicht. Und das Konzept geht voll auf. Zwei OHP-Projektoren, nach dem klassischen Schulmodell, werfen Licht und einzelne Texte und Bilder auf die hölzerne Wand. Daneben entstehen logischerweise auch Schattenfiguren der Darsteller*innen, die Kräfteverhältnisse und Hierarchien untermauern. Alle Spieler*innen sind genderneutral konzipiert: Alle weiß, mit einer haarlosen Glatze und hautfarbener Unterwäsche. Dazu werden fast konsequent die Frauenfiguren von den männlichen Schauspielern gespielt und die Männerfiguren von den weiblichen Schauspielerinnen. Ausnahmen betreffen die Figuren der Iphigenie und die der Klytaimnestra, die von den Schauspielerinnen Svetlana Belesova und Jele Brückner verkörpert werden. Da das Geschlecht optisch aber von den Figuren "entfernt" wurde, spielt das folglich keine Rolle. Die Kostüme sind größtenteils Basic/Casual gehalten, im Grundsatz aber eher sportliche Kleidung. Auf die Spitze wird das ganze in Persona Achill getrieben, der als aufgepumpter Adidas-Held mit weißen Turnschuhen die Bühne betritt und augenscheinlich nur so vor Testosteron platzt. Bei der Kostümzusammensetzung wird bewusst mit "typisch weiblich" und "typisch männlicher" Kleidung gespielt. So trägt der dreiköpfige Chor junger Frauen (gespielt von drei Herren) eine bunte Kreuzung aus Strumpfhose, Anzug, Rock und Ohrringen. Dieser Chor wird zum Kriegstreiber "Wir brauchen ein Opfer" und repräsentiert die Masse des Volks. Und hier findet der Euripides-Text eine gute und nachvollziehbare Verbindung mit dem Jelinek-Text und hinterfragt das Verhältnis von Sport und Krieg. Und welche Rolle dabei die Masse, das Volk einnimmt. In Pařízeks-Inszenierung ist es ein Chor mit kriegsbegeisterten, weiblichen Fans, der den Jelinek-Text skandiert. Angeführt von Achill, dem Adidas-Helden mit einer Steinzeit Keule in der Hand, der gewiss nicht heiraten will und sich seinen Player-Allüren durchaus bewusst ist und damit spielt. Das bekommt eine sehr humorvolle Unterebene, da Anne Rietmeijer das so hervorragend macht. 

Nun rotiert die hölzerne Wand und eine riesige Spiegelfront auf der Rückseite wird sichtbar. Daraus wird direkt mal ein Fitnessstudio, in dem Achill seine Muskeln bewundert und der Chor junger Frauen sich sportlich betätigt: Liegestütze 1, 2, 3. Und so kommt es schließlich dazu, dass Iphigenie voller Stolz den Heldentod sucht und sich mit Blut übergießt. Das antike Kriegsrad hat wieder seinen Lauf genommen. Großer Applaus für die fantastischen sechs Darstellerinnen und Darsteller. 

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von Marvin

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