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Ein Blick von der Brücke – Arthur Millers Drama über das Schicksal von Migranten

10.03.2019

Der Chor der Fremden. Eddie löst sich auf. Je deutlicher Eddie seine Einsamkeit spürt, desto aggressiver versucht er das Eigene gegen das Fremde zu verteidigen. Er sperrt sich selber aus, indem er sich verbarrikadiert. Und er verschwindet. Er verschwindet, weil wir erst dann beginnen etwas zu sein, wenn wir uns zueinander in Beziehung setzen. Aber Eddie setzt sich nur zu seiner Vergangenheit in Beziehung. Er sucht seine Identität, aber im Vorgestern. Er traut sich keine Verwandlung zu und er hat ja auch irgendwie recht. Veränderung ist doch schrecklich, beängstigend, aber unausweichlich.

Eddie Carbone ist ein ehemaliger Einwanderer in die USA, der sich seit zwanzig Jahren täglich ein bescheidenes Leben erkämpft. Er wohnt und arbeitet im Hafenviertel Red Hook und lebt zusammen mit seiner Frau Beatrice und seiner 17-jährigen Nichte Catherine zusammen. Für Catherine, der er mehr als väterliche Zuneigung entgegenbringt, will er den gesellschaftlichen Aufstieg: raus aus dem Viertel, raus aus der Armut, rein in ein besseres Leben. Nichts scheint dieses Vorhaben zu stören, ehe ein Schiff aus Europa im Hafen anlegt. 

Ein Blick von der Brücke heißt das Drama von Arthur Miller aus dem Jahr 1955 und es ist eine Tragödie über einen Mann, der Veränderung nicht akzeptieren kann. Weitere Dramen von Arthur Miller stehen auch am Düsseldorfer Schauspielhaus und dem Schauspiel Köln auf dem Programm: Hexenjagd in Düsseldorf (Regie: Evgeny Titov) und Tod eines Handlungsreisenden in Köln (Regie: Rafael Sanchez). Im Central des Düsseldorfer Schauspielhauses hat sich nun Regisseur Armin Petras (zuletzt: 1984) dem Stoff gewidmet und eine rund 2 Stunden und 20 Minuten lange Inszenierung auf die Bühne gebracht, die aus zwei völlig unterschiedlichen Teilen besteht. Premiere war am 9. März

Auf dem Schiff aus Europa sind viele illegale Einwanderer, darunter auch die beiden Cousins von Beatrice, Marco und Rudolpho, die aus Sizilien geflohen sind und in Amerika ihr persönlichen Ziele verfolgen wollen. Marco will hart arbeiten und Geld verdienen, damit seine Frau und Kinder zuhause über die Runden kommen. Rudolpho hingegen will langfristig in den USA bleiben, sesshaft werden und eines Tages die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangen. Die zwei kommen bei der Familie unter, was ausschließlich für Eddie ein großes Problem ist. Als sich der jüngere der beiden Brüder, Rudolpho, an Catherine heranschmiegt, platzt Eddie der Kragen. Mit aller Macht versucht er ihn bei seiner Nichte schlecht zu reden, doch die sieht sich nur bestärkt in ihrer Zuneigung und die beiden verlieben sich schließlich ineinander. Der verzweifelte, vor Eifersucht platzende, Eddie sucht Rat bei der Anwältin Alfieri. Doch das einzige Verbrechen, das Rudolpho begangen habe, sei seine illegale Einreise. Doch es verstößt gegen den Ehrenkodex von Red Hook, jemanden bei der Einwanderungsbehörde zu melden. Soweit will Eddie dann auch nicht gehen. Als er aber von der bevorstehenden Heirat der beiden erfährt, sieht er rot und zieht alle Register. 

Die Inszenierung von Armin Petras lässt sich in zwei Teile gliedern. Der erste Teil spielt in einem realistischen und naturalistischen Bühnenbild, einer Brooklyner Wohnung von damals (Bühne: Julian Marbach). Zwei funktionale Räume, die fließend ineinander übergehen: Das Wohnzimmer und die Waschküche. Auch die Kostüme folgen dem Naturalismus (Kostüm: Cinzia Fossati). Der Anwalt Alfieri ist hier eine Frau, gespielt von Lea Ruckpaul, die kommentierend und erklärend in das Spiel eingreift. Erst vor der Bühne, abgetrennt von dem weiterlaufenden Spiel im Hintergrund, nachher fügt sie sich in das Spiel hinter ihr ein. Sie gibt vor allem auf das Thema "Patriarchat" eine sehr feministische Sicht. Hinter ihr spielt sich nämlich das traditionelle Familienbild ab: Der Vater Eddie, der das Geld nachhause bringt und allein das Sagen hat, die Mutter Beatrice, die gemeinsam mit einer schwarzen Haushaltshilfe den Haushalt schmeißt und das Ersatz-Kind Catherine erzieht und eben jenes Ersatz-Kind, das fleißig zur Schule gehen soll, um es eines Tages einmal besser zu haben. Der "American Dream" lebt, unbeachtet der Tatsache, dass Eddie als italienischer Einwanderer großen Benachteiligungen ausgesetzt ist. Das selbe gilt für die Brüder Marco und Rudolpho, die aus Sizilien nach Amerika geflohen sind. Das Spiel in der Wohnung wird untermalt von Umgebungs- und Straßensounds, die in die Wohnung hineindringen. Was sich hinter den, für die Nachbarschaft geschlossenen Türen, abspielt, bekommt das Publikum wie durch einen Blick durchs Schlüsselloch zu sehen: Eifersüchteleien und Eheprobleme. Eddies Frau Beatrice spürt die ungebrochene Begierde ihres Mannes zur Nichte und möchte ihn mit einer sexy Tanz- und Gymnastikperformance mit dem antiken Staubsauger wieder für sich gewinnen und altes Feuer wieder entflammen. Für diese wahnsinnig unterhaltende Show erntet die Darstellerin Cathleen Baumann auch gleich mehrfach Szenenapplaus. Doch ihren Eddie kann sie leider nicht überzeugen. Er sitzt im Dunkeln im Wohnzimmer am Tisch und starrt vor sich hin, tief in Gedanken an Catherine versunken. 

Die Stadt, die hinter den Fenstern ihres Zuhauses liegt, bekommt im zweiten Teil des Abends den Schwerpunkt. Die Wohnung wird wortwörtlich aufgebrochen und es entsteht ein tiefer Raum. An den Seiten blinken die Logos von großen amerikanischen Unternehmen unserer Zeit auf: Pepsi, Tinder, Instagram. Der moderne Kapitalismus rückt in den Mittelpunkt und im Zentrum der Bühne formiert sich ein Chor aus Migrant*innen. Der spricht nicht, sondern bewegt sich in einstudierten Choreografien, mal langsam, mal schnell. Die Sinnhaftigkeit dieser Bewegungen bleibt aber offen. Am Schluss schlittert Eddie, gespielt von Wolfgang Michalek, in die naheliegende Katastrophe. Einer, der sich verloren fühlt, daraus Hass entwickelt und am Ende ganz alleine da steht.

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von Marvin

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