Drei Schwestern – Kein Weg nach Moskau
30.03.2019
"In diesen vier Jahren, die ich jetzt schon ins Gefängnis gehe – Ah! Habe ich gerade Gefängnis gesagt? – die ich im Gymnasium arbeite, da habe ich das Gefühl, dass jeden Tag ein Tropfen Jugend und ein Tropfen Kraft aus mir raustropft. Nur ein Wunsch wird immer klarer: Nach Moskau fahren, gehen, ziehen, fliegen. Das Haus verkaufen, alles hier auflösen und nach Moskau."
Die drei Schwestern Irina, Mascha und Olga leben mit ihrem Bruder Andrej Prosorow nun schon seit elf Jahren in der provinziellen Gouvernementsstadt. Sie waren einst mit ihrem Vater von Moskau aus hierher gezogen, doch seitdem der Vater vor einem Jahr gestorben ist, hält die vier nichts mehr in der Provinz. Einzig der große Wunsch zur Rückkehr nach Moskau eint die Schwestern. Irina, die jüngste der drei Schwestern, sehnt sich nach der großen Liebe und einem erfüllten Leben durch Arbeit. Mascha, die mittlere der Schwestern, hat zu früh ihren ehemaligen Lehrer geheiratet, den sie einmal so sehr bewunderte. Olga, die Älteste, ist unglücklich mit ihrer Arbeit als Lehrerin und sehnt sich nach einem ruhigen Dasein als Hausfrau. Ihr Bruder Andrej strebt eine Karriere als Professor an einer Moskauer Universität an. Er war es, der die Hoffnung der Schwester vereinte und sie mit nehmen sollte, wenn er in Moskau seine akademische Karriere beginnt. Doch Andrej lässt sich ablenken, verliebt sich in das kleinbürgerliche Mädchen Natascha und kommt von seinem Weg ab.
Moskau – Die Stadt der Kindheit und der Träume. In Anton Tschechows Drei Schwestern ist die Sehnsucht "Nach Moskau!" einer Art Mantra der Hoffnung. Es ist die nicht zu bändigende Sehnsucht nach einem sinnvollen, erfüllten Leben, das die drei Schwestern so sehr antreibt und das sie an der Stadt Moskau festmachen. Tschechows Drama wurde 1901 am Moskauer Künstlertheater von dem damaligen russischen Starregisseur Konstantin Stanislawski uraufgeführt. Am Schauspiel Köln hat sich die Regisseurin Pınar Karabulut, die zuletzt Romeo und Julia (Premiere: 14. Oktober 2017) erfolgreich auf die Kölner-Bühne brachte, dem Stoff gewidmet und einen im Comic-Stil gehüllten Theaterabend inszeniert. Premiere war am 6. Oktober 2018 im Depot 1.
Ein Jahr später hat sich alles noch verschlimmert: Irina hat zwei Verehrer, die sie aber beide nicht will, Mascha hat eine Affäre mit einem verheirateten Offizier begonnen, und Olga hat sich mit Natascha, der Frau ihres Bruders, verworfen. Andrej, der mittlerweile Vater geworden ist, begräbt endgültig seinen Traum von der Universitätskarriere und verspielt das gesamte Erbe der Geschwister. Als die Soldaten aus der Provinz abgezogen werden, verglüht auch das letzte Fünkchen Hoffnung, nach Moskau zurückkehren zu können. Die drei Schwestern bleiben zurück.
In der Inszenierung von Karabulut ist der abgedunkelte Bühnenraum zunächst leer. Zunächst betreten die drei Schwestern die Bühne. Nach und nach kommen die anderen Figuren hinzu, ehe alle in sechs Spotlights posieren und dem Zuschauer vorstellig werden. Dabei könnten die Figuren allesamt aus einem Comic entsprungen sein: Abstruse Perücken, bunte Kleidung und unverkennbare individuelle Details. Vor allem Susanne Wolff wirft als Olga ihre Sätze in den Zuschauerraum, dass es nur so wackelt. Das mag nicht zuletzt auch an ihrer kugelrunden (ausgepolsterten) Silhouette liegen. Die Kraft des Comic-Stils entpuppt sich aber erst, als die drei Schwestern ein Geschenk von dem Militärarzt Chebutykin bekommen: Ein riesiges meterhohes wie -langes Luftbett dass sich nach und nach aufbläst und immer größer und größer wird, ehe es am Ende fast den gesamten Bühnenraum füllt. Dann wird, wie im Spieleparadies, dadrauf gerungen, gesprungen, getanzt und gekämpft. Dazu gibt es noch riesiges Luftspielzeug in knalligen Farben, wie dem dominierenden türkis-blau. Und schließlich wird die Kraft des Theaters ausgespielt und das Geschehen auf der Bühne setzt sich mosaikartig zusammen. Dazu gibt es immer wieder kleinere gemeinsame Choreografien. Moskau, als das Paradies auf dem Luftbett, hat seinen vollen Umfang entfaltet. Über dem Luftbett schwebt eine riesige LED-Tafel, über die sich jetzt die Worte "Love, fuck, laugh, smile" schieben. In Moskau ist das alles möglich, da findet das richtige Leben statt und die Träume können sich verwirklichen. Doch Moskau rückt in immer weitere Ferne und das Luftbett sackt in sich zusammen, die Luft ist raus.
Der zweite Teil des Abends, nach einer recht späten Pause, setzt dann neue Kräfte frei. Das Luftbett liegt platt im Hintergrund und der Bühnenraum ist wieder frei. Die Worte werden weniger und absurde Tanzchoreografien setzen ein. Ein totaler Bruch zum ersten Teil, der aber ein raffinierter Regie-Einfall ist. Die Figuren kreisen um sich selbst, stecken in Wiederholungen fest und kommen immer wieder zum Stillstand. Es geht nicht weiter. Nach einander sacken die Figuren zusammen, ehe wie zu Beginn nur noch die drei Schwestern in ihren Winterjacken und -mänteln vor dem Publikum stehen. Nach Moskau scheint kein Weg zu führen.
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