Düsseldorfer Jugendportal

Sprich über deine Stadt!

640 640 1000 1000 1000

Jugend ohne Gott – Das Junge Schauspiel zeigt Horváths Roman über die Geburt des Faschismus

18.01.2019

Der Lehrer korrigiert die Hefte seiner Schüler und liest in dem Heft vom N: "Alle Schwarzen sind hinterlistig, feig und faul". Das stimmt natürlich nicht, sinnlose Verallgemeinerung. Er will es anstreichen, doch da stockt er. Diesen Satz hat er doch vor kurzem erst im Radio gehört. Er beschließt: "Ich lasse den Satz stehen, denn was einer im Radio redet, darf kein Lehrer im Schulheft streichen." Während er weiter liest, hört er immer das Radio. Es lispelt, es heult, es bellt, es droht. Die Zeitungen drucken es nach und die Kinder schreiben es ab.

Der Roman Jugend ohne Gott, geschrieben von Ödön von Horváth und erschienen 1937, spielt 1936 in Nazideutschland. Zuletzt wurde dieser 2017 in Deutschland verfilmt (Regie: Alain Gsponer) und kam mit einer Starbesetzung, u.a. mit Jannis Niewöhner, Jannik Schümann, Iris Berben, in die Kinos. Am Jungen Schauspiel in der Münsterstraße wurde Jugend ohne Gott nun für das Theater inszeniert. Regie führte Kristo Šagor, der zuletzt im November 2017 Die Schnekönigin als Familienstück zur Weihnachtszeit für das Junge Schauspiel inszeniert hatte. Nun widmet er sich Horváths politischem Roman über die Geburt des Faschismus in Deutschland. Premiere war am 13. September auf der Bühne.

Eine Schulklasse in Deutschland im Jahr 1936. Die Schüler haben die Aufgabe bekommen, einen Aufsatz über die Frage "Warum brauchen wir Kolonien?" zu schreiben. Als er die Texte nach dem Unterricht korrigiert, stellt er fest, dass dort Sätze wie der oben genannte stehen. Es sind eigenartige Weltanschauungen auf Kolonien, die Stellung des eigenen Landes und auf Menschen mit anderer Hautfarbe, die er den Aufsätzen entnimmt. Die Nazi-Ideologie haben Schüler wie Eltern längst verinnerlicht. Und dem Widersprechen kann der Lehrer nicht, auch wenn diese Aussagen natürlich völlig falsch und einfach sinnlose Verallgemeinerungen sind, die die Schüler achtlos "nachbrabbeln". Als er am nächsten Schultag die Arbeiten den Schüler_innen zurückgibt, kann er sich nicht zurückhalten und widerspricht dem Schüler N vor der Klasse: "Schwarze sind doch auch Menschen". Dieses Statement wird Folgen haben, denn nun beschweren sich nicht nur Eltern, sondern auch die ganze Klasse, die sich in einem Pakt zusammenschließt und in einem Brief an den Lehrer mitteilen, dass sie von ihm nicht länger unterrichtet werden wollen. Wenige Tage später steht das Zeltlager, die vormilitärische Schulung, an, das die Klasse gemeinsam mit ihrem Lehrer verbringt. Die Freude bei den Schüler_innen ist groß, denn endlich lernen sie, wie man schießt. Der Schüler Z schreibt bis tief in die Nacht Tagebuch und gerät so mit seinem Zeltnachbarn N nächtlich aneinander. Als im Lager Wertgegenstände verschwinden, werden alle Schüler_innen zum Lehrer und Feldwebel zitiert. Von ihnen scheint es keiner gewesen zu sein, also wird eine Nachtwache bestellt. Als Z an der Reihe ist, begegnet er dem jungen Mädchen Eva, der Anführerin einer Räuberbande. Zwischen den beiden beginnt es mächtig zu funken. Das bleibt auch dem Lehrer nicht verborgen, der so einiges beobachtet hat. Darum entschließt sich dieser das Zelt von Z und N zu durchsuchen und findet das Kästchen in den Z's Tagebuch aufbewahrt ist. Er zerstört versehentlich das Schloss und legt es heimlich wieder zurück. Als Z seine Wertsachen so vorfindet, eskaliert der Streit zwischen den Zeltgenossen, es muss ja schließlich N gewesen sein. Als dann auch noch gerade N nicht von einer Übung ins Lager zurückkehrt, wird das Zeltlager unterbrochen. 

Der Text erzählt von einer Jugend ohne Gott, einer Jugend, die ihren Gott durch die Nazi-Ideologie verloren hat. An die Stelle der religiösen Heiligkeit trat ebendiese Nazi-Institution, die sich auch in Bildung und Erziehung breit gemacht hat. Der Regisseur Kristo Šagor hat in seiner eigenen Fassung den Roman für die Bühne bearbeitet und folgt dem Inhalt des Romans dabei ganz eng und streicht nur wenige Stellen. Die Besonderheit dieser Inszenierung ist, dass es zwar vorverteilte Rollen an das fünf-köpfige Ensemble gibt, diese aber immer wieder wechseln und alle wiederum zusätzlich kleinere Nebenfiguren verkörpern. Außerdem werden einige Passagen chorisch gesprochen. So entsteht ein hohes Tempo im Spiel durch die vielen Rollenwechsel und eine Verteilung der Gedanken auf alle Figuren. Es ist nicht klar z sagen, welcher Gedanke wem gehört, wer Opfer, wer Täter ist. 

Das Bühnenbild und die Kostüme sind sehr abstrakt und assoziativ gehalten. Es wird auf einer quadratischen beweglichen Plattform gespielt, dass sich mechanisch oder auch mit eigener Körperkraft in diese und jene Richtung kippen lässt. Die Spielerinnen und Spieler tragen eine dunkelblaue Uniform und darunter ein weißes Shirt. Das hat sowohl etwas von einer Schul- als auch von einer militärischen Uniform. Durch Licht- und Musikwechsel, das Kippen der Plattform und dem Einsatz kleinerer Requisiten entstehen immer neue Spielorte. Ein sehr lebendiger Abend, der durch Tempowechsel und seine Beispielhaftigkeit besticht. Die Aktualität dieses Abends bleibt unbestritten: Die Nationalisten und rechten Extremisten sind wieder auf dem Vormarsch. Doch Hoffnung und Mut auf eine Gegenwehr macht diese Inszenierung auch: Denn auf die liberale Seite des Lehrers schlagen sich am Ende auch einige Schüler, die sich in ihrem Club aktiv gegen Menschenfeindlichkeit engagieren. Großer Applaus für diesen eindrücklichen und konzentrierten Theaterabend. Zurecht!

***Noch mehr #Theatertipps findet ihr auf youpod.de/theater.***

von Marvin

Kommentar verfassen

Bitte fülle alle Felder aus die mit * markiert sind.