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Momentum – House of Cards im Düsseldorfer Schauspielhaus

30.11.2018

Momentum bezeichnet in der Physik die Bewegung eines Körpers, dessen Schwung nur mit einem größeren Kraftaufwand gestoppt werden kann. Momentum zu haben bedeutet aber auch, ein Zeitfenster richtig einzuschätzen, den geeigneten Augenblick nicht zu verpassen. Als Metapher schließlich bezeichnet Momentum die Dynamik, die sich gerade für oder gegen eine Idee, eine Bewegung oder eine Person entwickelt. 

Es sind verschiedene Bedeutungen des Wortes Momentum, die die Dramaturgin Janine Ortiz mit diesen Worten in der Stückeinführung beschreibt. Und doch sind sie alle unfassbar zutreffend auf diesen Theaterabend im Düsseldorfer Schauspielhaus. Momentum heißt das neue Stück, das die niederländische Dramatikerin Lot Vekemans geschrieben hat und das in Düsseldorf am 12. Oktober im Central auf der großen Bühne zur Uraufführung gebracht worden ist. Regie führte der Hausregisseur Roger Vontobel (GilgameshMedeaDer Kaufmann von Venedig), der für diese Inszenierung ein hochkarätig-besetztes Ensemble um sich scharte: Jana Schulz und Christian Erdmann (Politiker-Ehepaar Hofmann) in den Hauptrollen und André Kaczmarczyk, Wolfgang Michalek und Kilian Land in den Nebenrollen. Der Abend nimmt das Publikum mit hinter die Kulissen der Macht und ihren Akteur*innen, wie zwei Stunden House of Cards im Theater. 

Meinrad Hofmann ist Parteivorsitzender und nunmehr seit fünf Jahren Präsident eines großen westlichen Landes. Nach dem jüngsten Skandal steht er mehr denn je in der Kritik, der Druck ist enorm. Er scheint sein Momentum verloren zu haben und steht vor dem politischen Aus. Da kommt die 50-Jahr-Feier seiner Partei gerade recht, die er als letzte Chance wahrnimmt, die Stimmung zu drehen. Sein engster Berater und langjähriger Vertrauter Dieter Seeger pflichtet ihm bei und rät ihm, Meinrads Frau Ebba, die First Lady, sprechen zu lassen. Meinrad solle sich lieber zurückhalten und schweigen. Doch kann sich Meinrad diesen Schritt eingestehen und woher soll Ebba die Kraft nehmen, ihren Mann mit einer starken Rede zu unterstützen? Sie hat ihm jahrelang stets den Rücken gestärkt, seine politischen Ideale mitentwickelt und ihn durch viele Krisen hindurch manövriert. Ebba ist wie ihr Mann gezeichnet von der Macht, der Politik, ist ausgelaugt und abgekämpft. Ohne Drogen und Aufputschmittel kommen beide nicht mehr durch den Tag. Da stellt sich die Frage, was eigentlich ihr Lohn für all die Arbeit für ihren Mann und den Machterhalt ist. Und was ist eigentlich mit ihren Idealen, weshalb sie in die Politik gegangen sind, passiert? Beide ringen mit sich, ihren Dämonen, Ängsten, Selbstzweifeln und verpassten Möglichkeiten. Und schließlich auch mit dem eigenen Leben. 

Der Theaterabend lädt das Publikum ins Hinterzimmer der Macht ein und zeigt wie bei House of Cards, die Stränge, die privat wie beruflich zusammen laufen. Und wieder steht hinter einem mächtigen Mann eine starke Frau. Sinnbildlich erntet die stark aufspielende Jana Schulz, die auch optisch sehr Claire Underwoord von House of Cards ähnelt, den stärksten des ohnehin langanhaltenden Schlussapplauses. Schauspielerisch ist dieser Abend durchweg ein Genuss. Wie sich das Ehepaar Hofmann an sich selbst abarbeitet, bekommt das Publikum deutlich zu spüren, wie oft sie am persönlichen Abgrund balancieren. Und dann müssen sich die beiden auch noch eingestehen, dass das Leben, welches sie gewählt haben, nur eines von tausend möglichen Leben ist. Diese Erkenntnis lässt vor allem die zunehmend instabile Ebba Hofmann nicht los, die immer noch in ihren Gedanken von ihrem ungeborenen Sohn verfolgt wird. Er zwingt sie dazu, das Leben als Mutter, das sie beinahe hätte leben können, als eine dieser Möglichkeiten zu betrachten. Hätte sie sich so ein Leben vielleicht sogar gewünscht? Ein innerer Dämon, der immer wieder aus ihr auszubrechen versucht, grandios verkörpert durch André Kaczmarczyk.

Der Abend wirkt in seiner letztlichen Unkonkretheit wie eine perfekt-passende Schablone, die sich wohl auch noch in einigen Jahrzehnten auflegen lassen wird.

von Marvin

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